piwik no script img

Ibrahim Böhme, Chef der SPD

■ Vom „alternativen Marxismus“ zur sozialdemokratischen Parteivernunft - ein Portrait

Oktober 1989. Versammlung der dreitausend in der Erlöserkirche. Soll jetzt wirklich eine neue Partei gegründet werden? Inhaltlich verwandt, persönlich befreundet, füllen die Oppositionsgrüppchen die Gotteshäuser. Einen Tag später begrüßt Ibrahim (Manfred) Böhme in einem gelb getünchten Kirchenraum des Dorfes Schwante 43 Männer und Frauen und nimmt den Faden vom Vorabend auf: „Wir sagen, ja, es ist notwendig, sich gerade jetzt inhaltlich und strukturell verbindlicher zu zeigen als bisher. Wir müssen um Zielvorstellungen und Sachkompetenz ringen, um morgen in einem Dialog als Gesprächspartner der Bevölkerung etwas sagen zu können.“ Holprige Sätze ohne programmatische Aussage und Beifall, aber die Analyse zu Beginn der konspirativen Gründungsversammlung der Sozialdemokratischen Partei der DDR am 7.Oktober stimmt.

In Schwante hält nicht der Mann in der weißen Sportjacke inzwischen zeigt sich der Parteigründer ausnahmslos im schwarzen Anzug mit Weste - die „programmatische Rede“. Landpfarrer Markus Meckel übernimmt das: „Wir wollen genau das, was in der Vision des Sozialismus ausgesprochen ist: ein gerechtes und soziales Gemeinwesen (...) in einer nichtkapitalistischen DDR.“

Lang ist's her. Mit der „Situation“ hat sich die Perspektive verändert. Futsch ist die traute Einheit unter den Kinderzeichnungen des Saales in Schwante. Während Meckel wie ein glatter, cooler Profi agiert, stolpert Böhme über die Brüche seiner Biographie hin zu sozialdemokratischem Pragmatismus.

Vom Stiefvater in einem Kinderheim untergebracht, wechselt „Manfred“ mehrfach die Heime. Den Namen Ibrahim nimmt er später an, „weil der zu einem Juden, Moslem oder Christen paßt“. Daß seine Eltern wahrscheinlich Juden waren, „hat man mir irgendwann erzählt“, sagt Böhme. Gern erinnert der Mann, der gegenwärtig durch die Hauptstädte Europas jettet, daran, daß er als Schüler Kohlen geschleppt und Rüben verzogen hat, um „die 25 Pfennig für die Kinovorstellung im Jugendklub zu verdienen“. Besonders unangenehm haftet im Gedächtnis der Geldmangel: „In puncto Kleidung war ich schon immer eitel, und wir kriegten nur gräßliches Zeug zum Anziehen.“ Nach der zehnten Klasse zieht Böhme ins Lehrlingsheim Leuna. Seine Leistungen sind trotzdem glänzend. „Meine Lehrer und Heimerzieher, alles Kommunisten, haben mich geprägt.“ Dazu steht der SPD-Wahlkämpfer und setzt hinzu: „Vor allem Toleranz gegenüber Andersdenkenden habe ich bei ihnen gelernt.“ Wegen dieser Tugend aber eckt Böhme schon 1967 an. Auf einer „Parteiaktivtagung“ widerspricht er dem SED -Ausschluß des „Renegaten Robert Havemann“, verlangt für ihn die Möglichkeit der Verteidigung. Havemann fliegt, Böhme wird zum Kadergespräch zitiert.

Von sich aus die Partei zu verlassen kommt ihm nicht in den Sinn. „Ich dachte, man könnte die Partei von innen aufbrechen und reformieren.“ Wie viele andere bringt ihn seine Ansicht nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR 1968 „für kurze Zeit“ ins Gefängnis. Wieder verläßt er die Partei nicht. Er fängt bei der Post als Abpacker an, steigt auf zum Post-Abteilungsleiter. Dem Postminister muß das organisatorische Geschick des jungen Mannes aufgefallen sein, eines Tages, so berichtet Böhme nicht ohne Stolz, „hat der mich per Handschlag nach Berlin geholt und zum Oberinspektor gemacht“. Ein „Parteiauftrag“ holt ihn zum Kulturbund nach Greitz. Zusehends schwindet der Glaube an die Reformierbarkeit der Partei. Die Ausbürgerung Biermanns 1976 setzt den Schlußpunkt unter die erste politische Sozialisation. Es folgen SED-Austritt, Arbeitslosigkeit, dann der Job in einer Konservenfabrik. Die Partei tritt übel nach. „Ohne Begründung“ wird Böhme 1977 verhaftet und sitzt fünfzehn Monate in Untersuchungshaft.

Nach dieser „schlimmen Phase“ ist die Ehe kaputt und später auch der Kontakt zur Tochter verloren. Anfang der 80er Jahre studiert Böhme Geschichte und Theaterwissenschaften. Mit einer Solidaritätskundgebung für Solidarnosc endet 1981 seine Gastdramaturgie am Theater in Neustrelitz: Endgültiges Berufsverbot im Honecker-Sozialismus, an dessen „Visionen und Theoremen“ der Ausgestoßene beharrlich festhält. Fortan schlägt er sich durch als Koch, Sägewerksarbeiter, Nachhilfelehrer, nähert sich vorsichtig der konspirativen Friedens- und Menschenrechtsbewegung in den Gotteshäusern. Philosophierende Pfarrer bitten den marxistischen Atheisten zur „Sofarunde bei Pfarrer Hilsberg“. Hier treffen sich in den Berliner und Landpfarreien spätere SPD-Vorständler, Pfarrer Markus Meckel und Martin Gutzeit. Hilsbergs Sohn hat es zum Parteisprecher geschafft. Weitgehend unbehelligt von der Stasi, disputiert der Kreis mehrere Wochenenden im Jahr über Hegel, Lukacs, Benjamin.

Ausdrücklich begreift sich SPD-Geschäftsführer Böhme als „alternativer Marxist“. Auf der Delegiertenkonferenz im Januar zählt er die „marxistische Kritik an den sozialökonomischen Zuständen“ zu den „Quellen der Sozialdemokratie in der DDR“. Eindringlich beschwört er die Parteibasis: „Laßt uns so utopiezugänglich sein, daß wir die Träume aller unserer Menschen aufnehmen können in einen Katalog praktischer politischer Vernunft.“

Kaum einer seiner damaligen Aktivistenfreunde und jetzigen Nachbarn am Runden Tisch - wo er wegen „internationaler Verpflichtungen“ oder politischer Kursbestimmung in der Bonner Baracke immer seltener erscheint - begreift die politische Entwicklung des früheren Weggefährten. Westliche Beobachter vergleichen ihn mit Kanzlerkandidat Lafontaine: Bei beiden Politikern ist die Bindung an das traditionelle, vorherrschende Gedankengut der SPD schwach ausgeprägt. Der Anhänger der Zweistaatlichkeit stemmt sich gegen die Stimmung, verlangt den Zusatz DDR im Parteinamen. Vergeblich, der Einheitszug rast. Und Böhme steigt nicht aus. Selbst in dem Moment nicht, als das im Oktober geschlossene Wahlbündnis der Opposition aufgekündigt wird.

Unablässig schwört er danach den Zurückgebliebenen die Treue, er hängt an diesen Menschen. Und umgekehrt. Bei der Gründungsversammlung der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt am 20.Januar hält Böhme die erste Trauerrede auf den „schweren Abschied aus der in der Illegalität gewachsenen Gemeinschaftlichkeit“. Ein Freund aus der „Sofarunde“ kämpft mit den Tränen. Vielen, auch dem Redner, scheint der Kloß im Hals zu stecken. „Jetzt können wir nicht mehr fragen, was wir tun wollen und können, sondern was wir tun müssen.“

Petra Bornhöft

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen