„Mein Platz ist in der Opposition“

■ Bärbel Bohley hat keine Lust auf Macht. Ihre ungebrochene Haltung in der DDR-Opposition lange vor der „Wende“ hat sie zur politischen Symbolfigur werden lassen. Nach umstrittenen Äußerungen zur Öffnung der Mauer ist sie wieder in der Opposition

Vera Gaserow

Vielleicht hatte es der ältere Herr auf dem Frankfurter S -Bahnhof wirklich nicht böse gemeint, als er der mit leiser Kinderstimme nach dem Weg fragenden kleinen Frau auf den Kopf zusagte: „Na, Sie sind sicher auch so ein Mauerblümchen aus der DDR.“ Vielleicht hatte er sich einfach nie für Politik interessiert, und wahrscheinlich sind vier Monate auch viel zu lang, um Fernsehgesichter im Gedächtnis zu halten. Vor vier Monaten jedenfalls war das „Mauerblümchen“ vom Frankfurter S-Bahnhof noch die „Mutter der Revolution“. Als Symbolfigur des gewaltlosen Umsturzes in der DDR ging sie beinahe täglich in den Nachrichtensendungen ein und aus.

Von den Medien umlagert und bedrängt, war sie die personifizierte DDR-Opposition. Heute symbolisiert die gerade einmal anderthalb Meter große 45jährige Frau wieder eine Stück DDR-Geschichte, wenn auch auf weniger medienträchtige Weise. Bärbel Bohley, „Mutter der Revolution“, und von dieser Revolution längst unehrenhaft entlassen, ist wie viele andere auch von den Wellen der Entwicklung unsanft in die hinteren Reihen gespült worden allerdings mit einigen ganz persönlich gemeinten Fußtritten.

Ähnlich wie sie einst Leitfigur der DDR-Opposition war, ist sie heute die Personifizierung eines auslaufenden Politikmodells, dem man vielleicht irgendwann einmal nachtrauern wird. Heute jedoch muß es auf den Schrott wandern: zu wenig effizient und modern, Weiterentwicklung zur Zeit nicht leistbar und nicht erwünscht.

„Der 9.November, das war Knackpunkt. Das war der Bruch mit ihr.“ Wo immer man in der DDR nach Bärbel Bohley fragt, hört man bald den Satz: „Ihren Kommentar zur Maueröffnung werden ihr die Leute nie verzeihen.“ An jenem historischen 9.November hat Bärbel Bohley in ihrer Altbauwohnung auf dem Prenzlauer Berg vor dem Fernseher gesessen. „Ich habe den Schabowski die Reisefreiheit verkünden hören und mir erst einmal einen großen Schnaps eingeschenkt. Als dann der erste Trabant durch die Mauer fuhr, bin ich ins Bett gegangen und habe mich selbst für acht Stunden beerdigt.“

Als sie am Tag danach wieder unter der Bettdecke hervorkriecht, kommentiert sie die Maueröffnung so, wie sie sie empfindet: als verfrüht und überstürzt. Volk und Regierung hätten wohl den Kopf verloren. Diese spontan geäußerten Sätze, von etlichen anderen nur insgeheim gedacht, aber als „politisch unsensibel und taktisch verheerend“ eingestuft, sind „typisch Bärbel Bohley“, sagt ein alter Bekannter. „Sie zeugen von ihrer Politikunfähigkeit, aber auch von ihrer Ehrlichkeit. Das macht sie einerseits so sympatisch und gräbt ihr und dem Neuen Forum andererseits das Wasser ab. Doch so ist sie eben: Sie hat schon immer den Mund aufgemacht und sich geäußert, unabhängig davon, welche Folgen das für sie hat.“

Die Folgen dieser „Maueräußerung“ wirken für Bärbel Bohley bis heute nach. Sie markieren den Beginn eines Rollenwechsels, der für sie nach wie vor persönlich schmerzhaft ist, aber auch ohne diese umstrittenen Sätze unaufhaltsam gewesen wäre. Als Mitte Januar aufgebrachte Demonstranten in Berlin die Stasi-Zentrale stürmen, versucht auch Bärbel Bohley zu beschwichtigen. Sie wird ausgepfiffen, bevor sie überhaupt ein Wort ins Mikrofon sagen kann. „Wendehals“ ruft ihr einer der Demonstranten zu. „Von der Bohley möchte ich nicht regiert, ja nicht einmal gemalt werden“, protestiert ein Arbeiter. In ihrem Briefkasten häufen sich Drohbriefe, und zeitweilig traut sie sich nur noch mit eingeschaltetem Licht zu schlafen. Aber auch beim Neuen Forum, der Organisation, die sie im September letzten Jahres mitbegründet hat, tritt ihr Ende Januar offene Ablehnung entgegen.

Und Mitte Februar stellen drei Bezirkssprecher des Neuen Forums aus dem Süden der Republik offiziell einen Mißtrauensantrag: Bärbel Bohley soll nicht mehr für das Neue Forum sprechen dürfen. Sie habe, so formuliert es der Bezirkssprecher des Neuen Forums Dresden vage, „Aussagen gemacht, die sehr einseitig, sehr links orientiert sind. Schon seit Dezember sind die Menschen nicht mehr mit ihr einverstanden. Das fing mit ihren Äußerungen über die Grenzöffnung an. Das Neue Forum hätte bessere Chancen, wenn sich Bärbel Bohley zurückziehen würde.“ Nach diesen Worten verläßt Bärbel Bohley, den Tränen nahe, die Sitzung des Forums.

Müde sei sie, resginiert, verbittert, tief deprimiert, noch weinerlicher als sie manchmal erscheine, urteilen Bekannte, die sie von Ferne beobachten.

Doch da sitzt dann eine Bärbel Bohley am Tisch, die sich genüßlich einen kräftigen Schluck Rum in den Tee kippt und eher gelöst als verbittert wirkt. „Mir ist es schon schlimmer gegangen, im letzten halben Jahr“, lacht sie auf die Frage nach ihrer Befindlichkeit. „Ich fange mich allmählich wieder. Meine Irritation nach dem 9.November läßt nach, und ich richte mich an meinem neuen Platz ein. Und der heißt ganz klar wieder: Opposition. Bestimmte alte Dinge stellen sich erneut ein: Daß man wieder seine Ideen verteidigen muß, daß man wieder in der Minderheit ist, die um Gehör kämpfen muß, daß man wieder am Rande steht. Das ist schmerzlich, aber ich fange an, mich in dieser Rolle wieder wohlzufühlen. Und ehrlich gesagt, habe ich noch nie geglaubt, ich könnte mal auf der Seite der Bestimmer stehen.“ Wie eine Halluzination, die sich später als Realität darstellt, habe sie die Maueröffnung gesehen. „Emotional“ sei ihr sofort klar gewesen, welche Entwicklungen dadurch in Gang gesetzt würden.

„Ich wußte, daß unsere Sache jetzt nicht mehr unsere ist, daß etwas anderes hereinbricht. Mir war klar, daß dieser Schritt in die Freiheit ein Schritt weg war von den Vorstellungen, die ich über die Veränderung dieses Landes hatte. Das heißt überhaupt nicht, daß ich gegen eine Maueröffnung war. Das wäre ja Blödsinn gewesen, wo ich jahrelang gegen dieses anachronistische Ding angekämpft habe. Aber die Art dieser Maueröffnung, wie sie als letzte Karte der Regierung auf den Tisch gelegt wurde, habe ich in gewisser Weise auch als Willkürakt empfunden. Genauso so, wie die Regierung eine Mauer errichtet, reißt sie sie mal kurz ab. Eine Zeitlang habe ich mich dagegen gewehrt und wollte das aufhalten. Jetzt weiß ich, daß ich diese neue Situation annehmen und mit ihr fertig werden muß. Der Höhenflug, sich einmal in der Mehrheit aufgehoben zu fühlen, war im Herbst letzten Jahres schnell vorbei. Dann kam der freie Fall, und jetzt habe ich das Gefühl, langsam wieder auf eigenen Füßen zu stehen.“

Auf eigenen Füßen stehen heißt für Bärbel Bohley auch, „daß ich mich nicht mehr einer Diktatur der Mehrheit unterordne. Das habe ich eine Zeitlang gemacht, aber ich merke, daß das nichts bringt. Ich fange wieder an zu beißen, und ich sage jetzt wieder: Sozialismus, auch wenn man mich dafür in Stücke reißt.“

Der Sozialismus als Vision ist für Bärbel Bohley „genausowenig totzukriegen wie das Christentum“. „Deshalb ist es auch so schmerzhaft zu sehen, mit welcher Brutalität jetzt dieser Prozeß abläuft. Das westdeutsche Kapital hat den Krieg erklärt, es fordert die Kapitulation unseres Landes. Das äußert sich bis hinein in die Sprache. Das Traurige ist, daß wir die Möglichkeit zu einem eigenen Weg gehabt hätten, und dieser Gestaltungswille so schnell zusammengebrochen ist. Die Menschen in der DDR haben sich zu Recht gegen die Reglementierung und die Abhängigkeit von der Sowjetunion gewehrt. Und jetzt soll Freiheit sein, von Bonn aus regiert zu werden? Dabei hätten wir bei all dem, was wir die letzten Monate erreicht haben, allen Grund zu Selbstbewußtsein.“

Sie habe wahnsinnige Lust zu Experimenten, sagt sie, „aber davon wollen die Leute zur Zeit nichts hören. Dabei merken sie gar nicht, daß wir gerade das allergrößte Risiko eingehen, das man überhaupt eingehen kann, nämlich ein System raus zu kippen und es durch ein anderes zu ersetzen, das - davon bin ich wirklich überzeugt - ganz sicher auch nicht die Lösung unsere Probleme bringt.“

Solche Sätze wollen tatsächlich viele in der DDR nicht hören. Und auch für die Mehrheit ihrer politischen MitstreiterInnen im Neuen Forum sind das „realitätsfremde, elitäre Positionen“. Dennoch steht Bärbel Bohley im Neuen Forum mit ihrer Einschätzung nicht alleine. Warum aber bietet gerade sie die Angriffsfläche? Warum nicht andere linke Exponenten wie Reinhard Schult oder Ingrid Köppe? Bärbel Bohley selbst glaubt, die Leute kämen wohl nicht damit klar, daß sie einerseits zur „Linken“ innerhalb des Forums gehöre, andererseits aber vehement gegen eine Spaltung der Bürgerbewegung kämpfe.

Eine selten rationale Erklärung der sonst so emotional argumentierenden Bärbel Bohley. Tatsächlich dürfte der Grund für die speziell gegen sie gerichteten Anfeindungen viel näher bei ihr selbst liegen als sie glaubt, bei ihrer Person und Biographie.

Sie repräsentiert ein Stückchen schlechten Gewissens der DDR, ist eine moralische Autorität, die vielen eigenes Versagen und jahrzehntelang geübten Opportunismus vor Augen führt. Bärbel Bohley ist eine der wenigen Menschen in der DDR, die für sich beanspruchen können, seit mehr als zehn Jahren aktiv in der Opposition zu sein. Und die Tatsache, daß es so wenige waren, hat sie überhaupt erst in die Rolle einer politischen Leitfigur gebracht, die gar nicht so recht zu ihr paßt.

Mitte der 70er Jahre gehört die Malerin Bärbel Bohley zum Freundeskreis des geächteten Regimekritikers Robert Havemann. Katja Havemann, die Frau des 1982 verstorbenen Dissidenten, ist noch heute ihre engste Freundin. Im Herbst 1983, in der Hochphase der Friedensbewegung, geht sie zusammen mit den „Frauen für den Frieden“ in Ost-Berlin gegen die Wehrpflicht für Frauen auf die Straße.

Gemeinsam mit ihrer Freundin Ulrike Poppe wird sie im Dezember 1983 unter dem Vorwurf „landesverräterischer Nachrichtenübermittlung“ frühmorgens verhaftet. Sie besteht darauf, im Nachthemd abgeführt zu werden. „Mutter des Untergrundes“ betitelt der Stasi-Vernehmer sie erbost.

Nach einer europaweiten Solidaritätswelle werden die beiden Frauen sechs Wochen später aus dem Stasi-Gefängnis freigelassen. Ihr politisches Engagement bringt der Malerin Bohley die Suspendierung vom Vorstand des Künstlerverbandes ein. Sie darf nicht mehr ausstellen und muß sich mit ihrem Sohn Anselm als Keramikmalerin mehr schlecht als recht durchschlagen. Über Jahre hinweg gehören für sie Stasi -Bespitzelungen zum Alltag.

1988 wird Bärbel Bohley als eine der Rädelsführerinnen der oppositionellen Rosa-Luxemburg-Demonstration in Ost-Berlin verhaftet. Unter dem Druck der Stasi stimmt sie einem Studienaufenthalt im Westen zu, in den sie nie wollte, und mit dem sie sich auch heute noch nicht anfreunden kann. Sechs Monate später, im August 1988, kehrt sie auf Schleichwegen wieder in die DDR zurück: „Das ist mein Land.“

Wer fragt, wie sie denn „eigentlich so ist, die Bohley“, bekommt - trotz mancher Kritik - derart gleichlautende Charakterisierungen genannt, daß es fast unheimlich ist. Immer schwingt in diesen Beschreibungen vorbehaltlose Anerkennung und Bewunderung mit: „Absolut integer“, „ungeheuer couragiert“, „völlig untaktisch, sondern gradlinig“, „immer ehrlich“, „eine ungewöhnliche, sehr sensible und warmherzige Frau, die gleichzeitig eine ungeheure Power hat“, „eine Moralistin, die dieses Land weiterhin dringend brauchen wird“.

Der „gute Platz im Himmel“, von dem Bärbel Bohley gesteht, daß „sie ihn doch gern hätte“, scheint ihr zumindest von Freunden und Bekannten schon reserviert.

Außenstehende, die sie nur aus dem Fersehen kennen, malen ein anderes Bild: Eine zerbrechlich wirkendene Frau, die mit stockender Stimme in die Kamera redet, die eher jammert als streitet und politische Diskussionen stets mit den Sätzen einleitet: „Mir persönlich geht es so“, oder: „Ich muß das noch einmal für mich sagen“.

„Die Bärbel Bohley bringt eine Masse an Gefühlen rüber. Wenn die im Fersehen auftritt, spricht sie die Leute mehr an“, meint der Bezirksprecher des Neuen Forums Dresden, der sie am liebsten gar nicht mehr im Namen seiner Organisation auftreten lassen möchte, denn das „Emotionale“ der Bohley in Kombination mit ihren linken Ansichten sei eher gefährlich.

„Das Emotionale“ ist nicht nur den Neuen Forum-Leuten nicht geheuer. Es paßt auch sonst nicht mehr in die politische Landschaft. Gewünscht werden Profis, die zupacken und sich routiniert in der Medienlandschaft bewegen können. Nicht Gefühle sind gefordert, sondern starke Politiker. Und eine Politikerin, darin sind sich alle einig, ist Bärbel Bohley nicht und will es auch nicht sein. „Leute wie ich sind nicht für die Politik gemacht“, sagt sie selbst, „ich bin ein absoluter Parteienfeind. Ich kann diese Zwangsjacken nicht leiden. In jeder Partei hätten sie mich wahrscheinlich schon längst rausgeschmissen.“

Als es jetzt im Neuen Forum um die Kandidatenkür für die Volkskammerwahlen ging, hat sie nie ernsthaft überlegt, sich zu bewerben. Zum einen habe sie natürlich die „Welle von Antipathie“ gespürt, gegen die sie keine Lust habe anzurennen. „Gleichzeitig hätte ich auch keine Lust, gegen Ibrahim Böhme oder Schnur zu kämpfen.“

Wenn sie gut aufgelegt ist, kann sie über den Werdegang ihrer einstigen politischen Kampfgefährten aus Oppositionszeiten lachen. „Daß der Eppelmann eitel ist, wußte ich ja schon lange, daß er aber so eitel ist, daß er sich dem Kohl auf den Schoß setzt, hätte ich doch nicht gedacht. Und daß Ibrahim (Böhme) viel Zuwendung braucht, war klar. Aber daß er sie ausgerechnet von Willy Brandt braucht!“

Bärbel Bohley paßt nicht in diese Garde der neuen, um Glattheit bemühten Politikertypen, die derzeit von Wahltermin zu Wahltermin hetzen. Zwar hat auch sie nie Zeit, aber wenn man sie so schwer zu packen kriegt, hat das eher damit zu tun, daß sie gerade mal wieder „zufällig“ ihren Terminkalender vergessen hat. „Ich habe zwar Lust auf Auseinandersetzung, aber nicht auf Macht“, sagt Bärbel Bohley. „die Räume der Macht finde ich einfach langweilig. Was soll ich da als bunter Alibivogel unter all diesen langweiligen beanzugten Männern?“ Daß Politik von unten gemacht werden muß, ist nach wie vor ihre „tiefste Überzeugung“. Deswegen sei eine Bürgerbewegung wie das Neue Forum gerade das Richtige für Leute wie sie.

Und genug zu tun gebe es dort gerade jetzt: Die Schaffung einer europaweiten Vernetzung von sozialen und ökologischen Initiativen, die Erarbeitung einer Lösung für die absehbaren sozialen Probleme, die sich mit der Wiedervereinigung abzeichnen, der Aufbau einer Kulturpolitik als identitätsstiftendes Element.

Nein, verabschieden von der Politik will sie sich nicht, auch wenn sie sich gerne wieder mehr Zeit für die Malerei nehmen würde. „Ich weiß zwar nicht, wo es lang geht. Aber ich weiß, wo es nicht langgeht. Ich werde immer versuchen, die Moral in die Politik hineinzubringen. Die Situation ist derzeit so unwahrscheinlich unmoralisch. Das ist es, was mich wirklich erschüttert. Wenn ich mir nur den Berghofer ansehe mit seinem Abgang über die Westmedien! Was sind denn das für Leute? Von denen erwarte ich doch keine Zukunft!“

Und die Grünen? Die seien für sie eher abschreckend. Petra Kelly, mit der sie seit Jahren befreundet ist, und mit der sie häufig verglichen wird, macht da für sie keine Ausnahme: „Ich schätze Petra Kelly sehr, aber was sie macht, wie sich sie alle Probleme dieser Welt auf die Schultern packt, das ist nicht mein Leben. Das Leben ist größer. Leben ist auch, im Atelier sitzen und stundenlang träumen. Ich genieße nun mal gern. Ich rauche gern, ich esse gern, ich liebe gern, ich mache beinahe alles gern. Aber ich habe einfach nicht den Anspruch, die Welt aufzuhalten.“

Eigentlich, so versichert Bärbel Bohley, und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, „bin ich mit mir selbst sehr zufrieden. Trotz all der Angriffe in der letzten Zeit. Ich habe mich immer ernst genommen, und mit jedem Jahr, das ich älter werde, bin ich zufriedener geworden. Gut, ich wäre gern ein bißchen dünner, und manchmal hab‘ ich das Gefühl: ich bin einfach zu klein für mich.“ Außerdem habe sie ja auch eine gute Eigenschaft, kommt Bärbel Bohley auf die Auseinandersetzungen der letzten Monate zurück: „Ich kann zäh sein, wenn ich will, aber ich kann auch loslassen.“

Diese Dickköpfigkeit und das Loslassenkönnen, auch von der Rolle als Symbolfigur, bekommt wenig später ein jung -dynamischer ZDF-Journalist unangenehm zu spüren. „Herr Kronzucker will Sie unbedingt heute abend für die DDR -Spezialsendung haben“, fängt der Trenchcoat-Mann Bärbel Bohley vor dem „Haus der Demokratie“ in Ost-Berlin ab, „ich nehm sie dann gleich mit ins Studio“. Doch sie ist zum Kaffeetrinken mit einem alten Freund verabredet. Nein, Fernsehaufnahmen, das paßt ihr jetzt nicht. „Aber das geht doch nicht“, stößt der ZDF-Reporter sichtlich beleidigt aus. „Wieso nicht, da drinnen im Saal sitzen hundert andere Leute vom Neuen Forum, die können sie genauso interviewen wie mich“, erwidert Bärbel Bohley, sagt's und zieht flink an einem vor Wut puterroten Journalisten vorbei.