Volksfront gewinnt die absolute Mehrheit

■ Die Litauer haben sich für die Unabhängigkeit von der Sowjetunion entschieden

Berlin (ap/dpa/afp) - In Litauen zeichnet sich nach den Parlamentswahlen vom vergangenen Samstag ein eindeutiger Wahlsieg der Volksfront Sajudis ab. Sajudis, die für die Unabhängigkeit Litauens eintritt, aber eine einvernehmliche Loslösung von der Sowjetunion anstrebt, hat zwar nicht als eigene Partei an den Wahlen teilgenommen, jedoch in allen Wahlkreisen Kandidaten ihrer Richtung unterstützt.

Wie ein Sprecher der Volksfront am Sonntag mitteilte, errangen die Kandidaten der Sajudis bis jetzt 72 der 141 Sitze im Obersten Sowjet, dem Landesparlament. Ein Mandat errang auch der erste Sekretär der KP Litauens, Algirdas Brasauskas, der in den Verhandlungen mit Gorbatschow die Trennung der Kommunisten Litauens von der Gesamtpartei vertreten hatte.

Die neugegründete sowjetloyale kommunistische Partei, die sich vor allem auf die 300.000 in Litauen lebenden Russen stützt, hat bislang sieben Mandate erreicht. In 45 Wahlkreisen muß in zwei Wochen ein zweiter Durchgang stattfinden, weil keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht hat, in sechs Wahlkreisen muß wegen zu geringer Wahlbeteiligung die Wahl wiederholt werden. Der Sajudis-Vorsitzende Landsbergis hat erklärt, Hauptaufgabe der vom neuen Parlament gewählten Regierung sei es, mit der sowjetischen Regierung über eine geordnete Herauslösung Litauens aus dem sowjetischen Staatsverband zu verhandeln. Es gehe im Grunde nicht um eine Sezession, also auch nicht um die Anwendung von Sezessionsverfahren. Es müße lediglich der Gewaltakt aufgehoben werden, durch den Litauen im Gefolge des Hitler-Stalin-Paktes 1940 seine Souveränität verloren habe.

Unter den von Sajudis Unterstützten sind 48 Unabhängige, von denen 46 gewählt wurden, 22 Reformkommunisten, von denen 13 Erfolg hatten, neun Sozialdemokraten, zwei Christdemokraten und Fortsetzung auf Seite 2

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zwei Grüne, die allesamt gewählt worden sind. Ohne Unterstützung der Sajudis schafften 17 Kandidaten der von der Gesamtpartei abgespaltenen KP Litauens den Sprung ins Parlament.

Dem Beispiel Litauens folgt jetzt auch die KP Lettlands. Rund tausend Delegierte der Partei beschlossen in Riga, für den 14.April den Gründungskongreß einer unabhängigen lettischen KP einzuberufen. Bis jetzt hält die KPdSU daran fest, daß der Austritt der litauischen KP aus der Gesamtpartei nichtig sei.

Der Oberste Sowjet von Estland hat weitere Schritte zur Unabhängigkeit unternommen. Er forderte den sowjetischen Kongreß der Volksdeputierten auf, Verhandlungen über die

Wiederherstellung der estnischen Republik einzuleiten. Die unabhängige Republik müsse bei der Vier-plus-zwei-Konferenz zur deutschen Einheit und bei der KSZE-Konferenz teilnahmeberechtigt sein.