"Das ist der absolute Frust, aber...die Unterstützung darf nicht aufhören" / Nicaragua-Soligruppen über Wahlergebnis entsetzt

Die Wahlniederlage der Sandinisten hat bei den Berliner Nicaragua-Solidaritätsgruppen Entsetzen, Enttäuschung und Ratlosigkeit ausgelöst. Viele Gruppen haben für diese und kommende Woche kurzfristig Treffen anberaumt, bei denen über die Perspektive der Soli-Gruppen in Nicaragua beraten werden soll. Einig waren sich die Berliner gestern jedoch mit dem Wuppertaler Informationsbüro darin, daß die in Nicaragua begonnenen Projekte nicht Hals über Kopf hingeschmissen, sondern auf jeden Fall zu einem sinnvollen Ende geführt werden sollen.

Die Mittelamerika-Kaffee Im-und Export GmbH (Mitka) - ein Zusammenschluß von sieben bundesdeutschen Gruppen und der Berliner Kaffeegenossenschaft und dem Naturkost-Großhandel Ökotopia - haben am kommenden Wochenende ein außerordentliches Treffen anberaumt. Die „Mitka“ importiert pro Jahr etwa 250 Tonnen Kaffee - die bekannte „Sandino Dröhnung“ - von der staatlichen Verkaufsgesellschaft ENCAFE in Nicaragua. Auf den normalen Kilopreis ist eine Mark Solidaritätsbeitrag aufgeschlagen. Der Soli-Gesamterlös der vergangenen Jahre beträgt rund eine Million Dollar, die in Nicaragua in das Projekt einer Kaffeeverarbeitungsanlage und verschiedene Sozialprojekte in fünf Dörfern fließen. Für Rainer von der Berliner Kaffeegenossenschaft, die die Sandino-Dröhnung in Berlin ohne eigenes wirtschaftliches Interesse an Abonnenten vertreibt, ist klar, daß das Projekt zu Ende geführt wird. Die Kaffeeverarbeitungsanlage gehört zur Zeit noch der Gewerkschaft, dem Verband der Kooperativen und Kleinbauern und der Regionalregierung. Die Entscheidung, ob er sich für einen weiteren Einsatz der Kaffeegenossen in Nicaragua einsetzen wird, hängt für Rainer unter anderem davon ab, wer das Projekt übernimmt, wie die künftige Regierung aussieht, was für Möglichkeiten es gibt, Projekte mit Basisorganisation weiterzuführen. Rainer macht jedoch keinen Hehl daraus, daß für ihn durch die Wahlniederlage der Sandinistas schon „ein Stück weit Utopie zerbrochen ist“. Er habe gedacht, daß sich in den Köpfen der Nicaraguaner „etwas bewegt“ habe. Daß die Uno-Allianz gewonnen hat und die Contrachefs jetzt schon vor den Kameras herumturnten, „das ist der absolute Frust“.

Julia vom Berliner Großhandel Ökotopia, der ein Drittel des Mitka-Kaffeeimports verkauft, bekräftigt gleichfalls, daß das Projekt auf jeden Fall zu Ende gebracht werden muß. „Wir waren ja schon auf der Suche nach einem neuen förderungswürdigen Projekt“, daran habe sich nichts geändert. Die Strategie von Ökotopia wird sein, so Julia, „die Noch-Regierung und künftige Opposition zu unterstützen und Direktlieferverträge zu den Produzenten zu kriegen“. Das Wahlergebnis sei ein „schwerer Schlag“, aber für ein endgültiges Urteil sei es noch zu früh.

Annette von der Arbeitsgruppe Mittelamerika des Gesundheitsladens im Mehringhof hatte angesichts des Wahlergebnisses spontan das Gefühl, daß es „verkehrt war, eine Revolution mit Wahlen zu messen“, die von außen diktiert worden seien. Die Arbeitsgruppe, die in den vergangenen Jahren rund 150 Mediziner und Krankenpflege -Brigaden nach Nicaragua entsandt hatte, hat sich schon seit längerer Zeit darauf verlegt, der Universität Leon bei der Medizinerausbildung mit Lehrmaterialien Unterstützung zu leisten. Ob die Arbeitsgruppe weitermache, hänge von der Entwicklung im Gesundheitwesen ab. Annettes große Befürchtung ist, daß das „alte Multiple-Choice-Verfahren“ bei der Medizinerausbildung wieder eingeführt wird.

Für Dominik, der 1986 bei einem Brigadeaufenthalt in Nicaragua einen Monat lang von den Contras entführt worden war und Mitglied in einer Nicaragua-Gruppe des Lateinamerika -Zentrums ist, ist der Wahlausgang „die größte Niederlage der internationalen Solidaritätsbewegung in den letzten zehn Jahren“. Sein Fazit: „Die Brigadisten hätten nicht alle Kraft in die Projekte in Nicaragua setzen sollen, sondern mit einer starken Bewegung in ihren Heimatländern und den USA die Wahlen gewinnen müssen.“

„Die Unterstützung für die Leute kann ja nicht einfach so aufhören.“ Von Resignation sei nicht die Rede. Isabel Velte, Vertreterin der Städtepartnerschaftsinitiative Charlottenburg, kann sich allerdings eine Zusammenarbeit mit einer nicaraguanischen Regierung unter Violeta Chamorro nicht vorstellen. „Wir müssen zuerst unsere neuen Ansprechpartner in den kommunalen Gesundheits- und Erziehungsministerien überprüfen“, meint Velte. Man werde sich umorientieren müssen und dann andere Gruppen unterstützen, Selbsthilfegruppen beispielsweise. Denn auch jetzt sei die internationale Präsenz der Solidaritätsgruppen mit Kontrollfunktionen in Nicaragua wichtig. „Jetzt erst recht!“ Dieter Radde vom Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Kreuzberg-San Rafael del Sur weiß zwar, daß sein Verein schon wegen der engen Zusammenarbeit mit den Kommunen, nicht in der bisherigen Form weiterarbeiten kann, aber „die Probleme sind ja nicht weg“, und deshalb müssen die Eigeninitiativen der Leute weiterhin unterstützt werden. Man müsse jetzt verstärkt mit den Bewohnerkomitees aus den betroffenen Regionen zusammenarbeiten. „Wir werden unsere Informationskampagne weiterführen“, erklärt Isabel Velte.

„Falls die neue Regierung uns da überhaupt noch arbeiten läßt“, meint Radde, denn die Allianz Uno unter Violeta Chamorro hat bereits lauthals „Raus mit den Internationalisten“ geschrien. „Vielleicht kommt der rapide Einbruch erst noch, wenn die uns nicht zulassen“, meint Dieter Radde.

Plutonia Plarre/Julia Schmidt