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Erstes Frauenzentrum in DDR-Provinz

Erfurterinnen weihten neues Zentrum in Ex-Stasi-Villa ein / Sieben befristete Stellen für Beratungs- und Betreuungsangebote / Feminismus - ein ungeliebter Begriff / Drohender Sozialabbau Hauptthema bei den Ost-West-Diskussionen / Schwierigkeiten in anderen Städten  ■  Aus Erfurt Josefa Wittenbarg

Mit der Gründung des ersten Frauenzentrums in der DDR -Provinz hat Erfurt gute Chancen, sich zum Zentrum der Frauenbewegung im Süden der Republik zu entwickeln. Das jedenfalls hoffen die Erfurterinnen, die am vergangenen Wochenende die Einweihung ihres neuen Zentrums in der ehmaligen Zentrale der Stasi, einer gediegenen alten Villa, feierten.

Gegen reichlich Widerstand setzten sich die Frauen durch. So beschimpfte die Presse die „Initiativgruppe Frauenzentrum“ als Emanzenklub. Noch längst nicht aufgegeben hat der Bademeister aus dem gegenüberliegenden städtischen Schwimmbad. In seinem persönlichen Feldzug gegen die Frauen und für ein privates Fitneßzentrum in den ehemaligen Räumen des aufgelösten Staatssicherheitsdienstes ist der Mann wenig zimperlich. Vor dem Schwimmbad hängen in den Bäumen Transparente und künden von dem in der DDR-Gesellschaft aufkeimenden Kampf gegen selbstbewußte Frauen. „Was wird aus den Jungens, die einmal Männer werden?“ und anderer Unsinn steht auf den Transparenten. Die Frauen waren klüger als der Bademeister. Es sieht so aus, als hätten sie eine strategisch günstige Situation genutzt, um den Fuß in die Tür des neu zu nutzenden politischen Gebäudes zu setzen. Die Neurologin Kerstin Schön von der Erfurter Sektion des Unabhängigen Frauenverbandes der DDR reiste nach Berlin und erreichte bei Ministerpräsident Hans Modrow Unterstützung für den Aufbau des Frauenzentrums im ehemaligen Stasigebäude. Sieben Stellen wurden für das große Haus bewilligt, zunächst allerdings befristet bis zum 20. Mai, kurz nach den Kommunalwahlen.

Für die Zeit danach hoffen die Erfurterinnen auf die Einrichtung eines Gleichstellungsekretariats im Rat der Stadt, aus dessen Etat die Kosten des Zentrums künftig bestritten werden sollen. Es gibt Grund zum Optimismus, denn bis jetzt haben sich alle Fraktionen am Runden Tisch im Erfurter Rathaus für eine Gleichstellungsbeauftragte ausgesprochen. Sogar ein Vetorecht soll sie zugebilligt bekommen. Probleme in anderen Städten

Frauen aus benachbarten Städten, die zum Gründungsfest erschienen, waren nicht so erfolgreich und mußten erleben, wie mit mehr und mit weniger triftigen Gründen ihre Forderungen abgeschmettert wurden. Die Jenaer Frauen zum Beispiel haben um ein ehemaliges SED-Haus gekämpft, konnten sich aber nicht durchsetzen gegen eine Initiative zur Gründung eines Zentrums für krebskranke Kinder. „Wer kann da schon nein sagen?“ fragt Iris-Janine Klinger von der Jenaer Frauengruppe etwas resigniert. Kämpferisch geben sich Frauen aus Gotha, die auch ein ehemaliges Stasigebäude in ihrer Stadt ins Visier genommen haben. Wenn sie nicht bald die Zustimmung des Bürgermeisters hätten, der gerade um sein politisches Überleben kämpfe, würden sie das Haus besetzen, kündigt eine Gothaerin entschlossen an. Überall im Haus Stasi-Spuren

Wir befinden uns in einem kleinem verdreckten Raum mit schmutzstarrenden Gardinen und staubigen Tapeten. Die Stasi legte nicht viel Wert auf Sauberkeit, zumindest nicht in dieser ehemaligen Telefonzentrale. Aus den Wänden kommen bündelweise hunderte von abgeschnittenen Kabeln. Von hier wurden 120.000 Anschlüsse im Bezirk Erfurt überwacht, erzählt Karin Kannemann, stellvertretende Leiterin des neuen Zentrums. Die Spuren der Vergangenheit sind im ganzen Haus zu besichtigen. Durch Räume, vollgestopft mit Panzerschränken und versiegelten Schreibtischen, bahnen wir uns den Weg in einen Konferenzraum, wo Vertreterinnen der Frauenbewegung aus Ost und West Informationen austauschen.

Der drohende Sozialabbau ist das Thema Nummer 1. Im Moment sieht es noch so aus, daß Frauen (Ost) zu Frauen (West) sagen können: „Was habt Ihr, was wir nicht haben?“ Doch die neuen Parteien wollen vom Recht auf Arbeit nichts mehr hören, vermerkt eine der Teilnehmerinnen bitter. Und vom totalen Einstellungsstop des Bezirks Erfurt im Bereich der Kinderkrippen berichtet eine andere. Kerstin Schön plädiert dafür, in Ost und West die Sozialcharta des Unabhängigen Frauenverbandes zum Generalthema des Internationalen Frauentages am 8. März zu machen. Dem schließt sich die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauenbeauftragten, Renate Bremmert-Hein, Frauenbeauftragte des Westberliner Bezirks Neukölln, an. Die Charta gegen Sozialabbau wird als gemeinsamer Aufruf der Landesarbeitsgemeinschaft der Bundesländer mit dem Unabhängigen Frauenverband der DDR zum 8.März erklärt. Beratung und Nähkurs

Ein Stockwerk tiefer wird darüber diskutiert, welche Bedürfnisse das neue Zentrum abdecken soll. Rechtsberatung, Schwangerenberatung, Kinderbetreuung, psychologische Beratung und vieles mehr soll in Kürze angeboten werden. Der Wunsch nach einem Notruftelefon wird laut. Auch der Ruf nach dem Nähkurs erklingt. Eine Zuhörerin möchte wissen, ob das Haus denn auch „Problemgruppen“ wie Lesben und unverheirateten Frauen mit Kindern offenstünde. Die künftige Leiterin des Hauses will diese nicht ausgrenzen, möchte aber den Begriff Feminismus aus dem Programm gestrichen wissen. Mit solchen Äußerungen spricht sie vielen Frauen in der DDR aus der Seele, die derzeit von Mißtrauen gegenüber giftigen Emanzen, Furcht vor der eigenen Courage und vor allem dem unausweichlichen Dissens mit den Männern gebeutelt werden.

Aber die künftige Leiterin wird auch gefragt, wo sie vor der Wende tätig war. „Ich bin verheiratet und habe vier Kinder“, weicht sie aus. Eine Musikerin des Frauenorchesters Meiningen hakt nach. „Und wo haben Sie gearbeitet?“ Zögernd gibt die Befragte zu verstehen, daß sie im Rat der Stadt beim Amt für Arbeit und in der Gewerkschaft (FDGB) beschäftigt war. Die Antwort läßt so manche der Zuhörerinnen nachdenklich werden.

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