: Abenteuer an der Ruhr
■ „Rote Erde II“ in der ARD / Von Weimar bis zur Bundesrepublik / Ruhrgebiets-Geschichte in München gedreht
Ein überzeugter Nazi, ein SA-Mann sogar, als Held einer Fernsehproduktion? Autor Peter Stripp und Regisseur Klaus Emmerich sind dieses Wagnis in Rote Erde II eingegangen. Max Kruska, Sohn des Arbeiters Bruno Kruska - aus der 1983 ausgestrahlten 1. Staffel von „Rote Erde“ bekannt -, schließt sich in der Fortsetzung jetzt dem Nationalsozialismus an. Allerdings kommt er im Laufe der vier neuen Folgen immer weniger damit zurecht, hilft beispielsweise den russischen Zwangsarbeitern in der Zeche und erkennt schließlich die Schuld, die er auf sich geladen hat. Das Risiko, diese an sich sympathische Figur politisch so zu belasten, hat sich für das Filmteam ausgezahlt: Herausgekommen ist dabei eine plastische Figur in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit, weit entfernt von allen Klischees, glaubhaft und nachvollziehbar.
Die Handlung von Rote Erde II knüpft an die ersten Folgen an: die Zeit der Wirtschaftskrise, der Nationalsozialismus, der zweite Weltkrieg, die Befreiung von Faschismus, der Wiederaufbau und schließlich - in den 50er Jahren - das Zechensterben. Die „Zeche Siegfried“, die Arbeit in ihr und ihre Auswirkungen, das Leben in der Bergarbeitersiedlung und im besonderen das Schicksal der Familie Kruska, sie stehen auch diesmal wieder im Mittelpunkt. Wenn auch - zumindest in den zwei mittleren Folgen - die Milieu-Schilderung etwas zurücktritt zugunsten der großen politischen Entwicklungen, so ist Rote Erde II doch eine Fortsetzung der Ruhrgebiets-Geschichte, der Kumpel-Chronik, wie sie im ersten Teil angelegt war.
Besondere Bedeutung erlangen die Frauen: Da ist Fränzi, die selbständigste und politisch engagierteste der prägenden Frauengestalten in diesem Vierteiler. Sie versucht, ihr Leben eigenständig und unabhängig zu meistern, bleibt anders als ihr Bruder Max, der sich den Nazis anschließt ihrer proletarischen Überzeugung treu. Da ist Sofie, die Frau von Max, geprägt vom Einfluß der Familie und - später von dem ihres Mannes. Konkrete Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und das Zusammenleben mit Fränzi lassen sie nachdenklicher werden, machen sie bewußter, lassen sie schwanken zwischen ihrer eigenen Meinung und der Solidarität mit ihrem Mann, machen sie schließlich zu einer bewußten und eigenständigen Frau. Und da ist schließlich Charlotte, die „eine gute Partie“ machen soll und für die deshalb ein Bergmann „nicht gut genug“ ist. Sie heiratet schließlich einen jüdischen Kaufmann und geht mit einem hohen Nazi -Offizier eine Verbindung ein.
Die Darstellerinnen und Darsteller hatten keine leichte Aufgabe: Immerhin mußten sie rund fünfundzwanzig Jahre altern zwischen der ersten und der letzten Folge. Eine Herausforderung für Maskenbildner Albin Löw. Das A und O sei es, so Löw, die Schauspieler zwar glaubhaft alt zu machen, aber sie gleichzeitig nicht so zu verändern, daß ihr Gesicht nicht mehr zu erkennen sei - sonst könnte ja auch gleich umbesetzt werden. Dreieinhalb Stunden lang waren beispielsweise zwei Leute damit beschäftigt, aus dem jungen Claude Oliver Rudolph den alten Bergmann Bruno Kruska werden zu lassen. Wie das genau gemacht wird, verrät Löw nicht: „Betriebsgeheimnis!“ Doch eines ist klar: So wichtig die „Maske“ dabei ist, so wichtig sind auch die Schauspieler dafür - nicht alle sind in der Lage, über einen so langen Zeitraum hinwegzuspielen. Daß Regisseur Emmerich keine bekannten Stars auswählte, sondern „ganz bewußt keine bekannten Namen“, ist in diesem Zusammenhang um so lobenswerter.
Herausgekommen sind dabei - auch und gerade aufgrund der schauspielerischen Leistungen - beeindruckende Szenen. Die Rückkehr des Richard Kruska nach zehn Jahren KZ ist ein kleines, erschütterndes Kammerspiel für sich, die Szenen mit den russischen Zwangsarbeitern über und unter Tage oder die Bilder aus dem Luftschutzbunker setzen sich fest.
Wie auch in den ersten Folgen ist das Ganze nicht an Originalschauplätzen im Ruhrgebiet entstanden, sondern auf dem Gelände der „Bavaria“ in München. Die Szenerie im Pott und im Pütt hat sich so nachhaltig gewandelt, daß sie für einen historischen Film keinen Hintergrund mehr bietet. Während der Arbeiten für die erste Rote-Erde-Staffel hat sich Helmut Gassner, der Ausstatter, zu einem Spezialisten für den Bergbau entwickelt. Ein neuer Förderturm aus Stahl ist für die Fortsetzungs-Dreharbeiten hinzugekommen und ein hoher Schlot am Kesselhaus. Die „Hängebank“, in dem die Förderkörbe ankommen, war ebenfalls nicht mehr zeitgemäß. Hierfür fand sich in der CSSR noch eine Zeche, die in das Bild der Zeit von Rote Erde II paßte.
Manfred Kellner
Sendetermine:
Sonntag, 4. März; Mittwoch, 7. März; Sonntag, 11. März; Mittwoch, 14. März - jeweils um 20.15 Uhr in der ARD.
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