: Ausstieg aus der Atomenergie - leichter als gedacht?
In Kiel diskutierten sozialdemokratisch orientierte Juristen über die Bedingungen des Ausstiegs aus der Atomenergie / Genehmigungen können auch nachträglich widerrufen werden / Hohe Entschädigungsforderungen der Energieversorgungsunternehmen hätten wahrscheinlich wenig Chancen auf Erfolg ■ Aus Kiel Gabi Haas
„Atomrecht auf dem Weg zum Sicherheitsrecht?“ Unter diesem Titel hatten die Kieler Universität und die schleswig -holsteinische Landesregierung in der vergangenen Woche zu einer juristischen Fachtagung geladen, die als Meilenstein in der Atomrechtsgeschichte gelten kann. Denn was zunächst „nur“ Eingang in die wissenschaftliche Fachliteratur finden wird, könnte einer künftigen atomkritischen Regierung den Weg zum Ausstieg aus der Atomenergie weisen. Allerdings sprechen - zumindestens in der SPD, das bewies das Eingangsreferat von Klaus Meyer-Abich (siehe Kasten) gegenwärtig manche Anzeichen für das Gegenteil.
Das Atomgesetz selbst bietet alle Möglichkeiten für den legalen und auch bezahlbaren Rückzug aus der Atomenergie wenn nur die Exekutive bereit wäre, den ihr rechtlich zugestandenen Handlungsspielraum voll auszuschöpfen. Das ist das Fazit der in Kiel von hochrangigen Professoren und Richtern vorgetragenen Meinungen, das in der herrschenden Lehre allerdings noch als Minderheitenvotum gilt.
Es gab unter den Referenten keinen Zweifel daran, daß es allein im Verantwortungsbereich der Behörden liegt, bei der Genehmigung und auch Überwachung von Atomanlagen die Risiken zu ermitteln und zu bewerten. Nur sie können letztendlich die Frage beantworten: Wie sicher ist „sicher genug“? Es sei das Verdienst des Wyhl-Urteils des Bundesverwaltungsgerichts, so der Bremer Oberverwaltungsrichter Viggo Eberle-Herm, diese Entscheidungskompetenz für die Exekutive wieder zurückgewonnen zu haben.
Die atomrechtliche Debatte entzündet sich im Augenblick an zwei Problemkomplexen, die vor allem den Kieler „Ausstiegsminister“ Günter Jansen (SPD) brennend interessieren dürften: Gibt es einen Bestandsschutz für einmal erteilte atomrechtliche Genehmigungen? Oder dürfen die Behörden solche Verwaltungsakte auch dann wieder aufheben, wenn sich zwar an den Genehmigungsvoraussetzungen nichts geändert, wohl aber die Sicherheitsphilosophie gewandelt hat?
Atombefürworter vom Vorgänger übernommen
Es gibt keinen „Bestandsschutz an sich“: so die übereinstimmende Antwort der in Kiel versammelten Rechtsexperten, sieht man vom einsamen Widerspruch Herbert Schattkes ab, Atombefürworter und Hausjurist von Jansen, den der Energieminister quasi als Erbgut von seinem CDU -Amtsvorgänger übernommen hat.
Die zuständige Verwaltung, ist auch Hans-Peter Schneider aus Hannover überzeugt, sei nicht nur bei der Genehmigung, sondern auch als Aufsichtsbehörde während des Betriebs von Atomanlagen zur „bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge“ verpflichtet. Die Anlagen müßten praktisch jederzeit in genehmigungsfähigem Zustand sein. Im Gegensatz zur „herrschenden Meinung“, wonach nachträglich erhobene Auflagen bis hin zu Betriebsstillegungen nur zur „Abwehr von Gefahren“, nicht aber zur „Risikovorsorge“ ausgesprochen werden dürften, verwies Schneider wiederum auf das Whyl -Urteil. Darin habe das Bundesverwaltungsgericht zwischen diesen beiden Definitionen keinen Unterschied mehr gemacht.
Umstritten ist zweitens, in welchem Fall die Behörden zur Entschädigung verpflichtet und woran mögliche Ausgleichszahlen zu bemessen seien. Diese Frage, die der Münsteraner Rechtswissenschaftler Friedrich Schoch als „Phantom-Thema“ bezeichnete, da sie in der Praxis noch nie juristisch ausgetragen worden sei, wurde auch in Kiel nicht einheitlich beantwortet. Bei einem Widerruf einer bereits erteilten Genehmigung, so Schoch, müßten die Betreiber der Anlage nicht nur dann auf eine Entschädigung verzichten, wenn eine „erhebliche Gefährdung“ erst nachträglich eingetreten sei. Vielmehr sei der Staat auch dann nicht zur Ausgleichszahlung zu verpflichten, wenn die Gefahr zwar latent schon immer bestanden habe, aber durch den Fortschritt von Wissenschaft und Technik erst später erkannt worden sei. In diesem Zusammenhang wurde auf der Atomrechtstagung immer wieder auf einen „hoffnungsvollen Anfang“ durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster verwiesen, das die Stillegung des AKW Würgassen wegen vorher nicht erkannter Brandschutzbedenken durch die NRW -Landesregierung in einem ersten Beschluß bestätigt hatte.
Anders als einige seiner atomkritischen Kollegen wollte Schoch die Atombehörden jedoch nicht aus ihrer Entschädigungspflicht entlassen, sofern die Rücknahme von Genehmigungen auf einer veränderten Sicherheitsphilosophie beruhte - wenn also plötzlich Schadensvorsorge auch für solche Störfälle verlangt würde, die bisher dem sogenannten Restrisiko zugeschlagen worden waren. Die Höhe solcher Entschädigungen hat sich nach Schochs Gesetzessicht allerdings nicht am „entgangenen Gewinn“, sondern am Zeitwert des Objekts zu orientieren. Und der, so wurde aus dem Publikum bemerkt, dürfte bei so mancher Altanlage über den Schrottwert kaum hinausgehen.
Doch jenseits von Wissenschaft und Theorie, auch das war die nicht neue Erkenntnis in Kiel, vollzieht sich die Genehmigungspraxis „völlig unbeeindruckt vom Regelwerk des Atomgesetzes“. Technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit bestimmen noch immer die Sicherheitsphilosophie. Unterhalb des Atomgesetzes wuchert ein schwer überschaubares Gestrüpp von kerntechnischen Regelwerken, Leitlinien und Empfehlungen, denen es an jeglicher Transparenz fehlt, die aber dennoch die atomrechtliche Genehmigungspraxis bestimmen.
Der Würzburger Hasso Hofmann berichtete von einer bisher in der Öffentlichkeit völlig unbeachteten Änderung des Atomgesetzes, nach der jetzt radioaktive Abfälle auch von Privatfirmen praktisch unbegrenzt „zwischen„gelagert werden dürfen. Für Hofmann sind die staatlichen Lösungsversuche der Entsorgungsproblematik rechtspolitisch so „schauderhaft“, daß er sich die Frage stelle, ob er sich überhaupt noch mit dem Atomgesetz wissenschaftlich beschäftigen soll.
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