: Doppelpremiere in Ostberlin
■ Fassbinder und Koerbl, dieser nach Gozzi
Bremen liegt am Meer. Man hört Möwengeschrei und Schiffshörner in der Ferne. Meer bedeutet Freiheit. Aber „Bremer Freiheit“, wie Rainer Werner Fassbinders 1971 entstandenes Theaterstück heißt, das am vergangenen Samstag in der ostberliner Volksbühne seine DDR-Erstaufführung erlebte, meint eine Freiheit, die keine ist. Eine Frau, Geesche Gottfried, schafft mit Gift aus dem Weg, was sich ihrer Selbstbestimmung in den Weg stellt, ihrem Glück. Ehemänner, Kinder, Eltern, Bruder und schließlich ihre Nachbarin Luisa, der sie - selbst inzwischen vom folgsamen Hausmütterchen zum Vamp mutiert - ihr langweiliges Leben ersparen will. Arsen und Spitzenhäubchen lassen grüßen.
Doch weil Mord ein Spiel ist, das man nicht gewinnen kann, gibt es kein Happy End. Und Gift reicht zwar fürs Melodram, taugt aber wenig für die Befreiung der Frau. Ein riesiger Ozeandampfer, der in Ostberlin für ein plakativ -melancholisches Schlußbild sorgt, zeigt, daß die Freiheit woanders ist.
Und ein Fassbinder ist kein Horvarth. Seine Moral ist so simpel wie die Bilder, die er dafür findet. Zwar hebt sich in Ostberlin die kühle Ästhetik der Bühne von Angelika Kempter und Ulrich Schreiber wohltuend von Fassbinders Banalitäten ab. Versucht die Inszenierung von Helmut Straßburger und Ernstgeorg Hering mit den Mitteln der Farce dem Kitsch Kontur zu geben. Aber Astrid Krenz als Geesche ist eine zu schwache Hauptdarstellerin. Und aus einem schwachen Stück ist eben nur schwer ein großes Bühnenereignis zu machen.
Nach der Pause dann Teil Zwei des Doppelabends. Jörg -Michael Koerbls Gozzi-Bearbeitung „Turandot“. Koerbl, auch Schauspieler am ostberliner Deutschen Theater, hat bisher ein knappes Dutzend Stücke geschrieben, von denen man jetzt drei an der Volksbühne sehen kann. „Die Eine und die Andere“, ein abstruses Zwei-Frauen-Stück, und „Gorbatschow/Fragment“. Der sowjetische Staatschef als Kind einer gescheiterten Ehe zwischen Lenin und Rosa Luxemburg. Der Einfluß Heiner Müllers auf Koerbls Stücke ist unverkennbar. Aber anders als andere Müller-Epigonen hat er eine eigene Sprache. Und seine Stücke drehen den nekrophilen Fatalismus Müllerscher Geschichtsphilosophie ins Groteske. Die Historie als Farce. Vieles wirkt noch unausgegoren, was Koerbls verquerer Phantasie entspringt. Vielleicht, weil der Vierzigjährige bisher nur für die Schublade schrieb.
Jetzt also Turandot. Die chinesische Prinzessin hat in Gozzis Original mit Fassbinders Geesche Gottfried gemein, daß auch sie Männer mordet, um ihr „beleidigtes Geschlecht“ zu rächen. In Ostberlin werden beide Frauen außerdem von derselben Schauspielerin (Astrid Krenz) gespielt. Wenn man dann im Programmheft noch auf jede Menge Schriften zur Befreiung der Frau stößt, könnte man tatsächlich meinen, das wäre es, was dieser Abend sich auf seine Fahnen geschrieben hat: Es kommt gottseidank anders.
Denn Koerbl ist das China des vergangenen Sommers näher, als Gozzis exotisches Theaterland. Und die Körper der hingerichteten Bewerber um die Hand der Prinzessin Turandot liegen natürlich auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Die Große Mauer, von der immer wieder die Rede ist, rückt dann dieses China noch näher vor unsere Haustür. Und nach ein paar groben Witzen, die offen mit der Gunst dieser historischen Stunde kokettieren, liegt dann der Schauplatz sozusagen direkt auf der Hand. Turandot, das wird schnell klar, ist keinesfalls die beleidigte Frau, sondern die zum Monstrum gewordenen Utopie, die vertilgt, wer sie aus dem Korsett ihrer Ohnmacht (oder des Selbstzwecks) befreien will.
Aber auch ein Monstrum hat Sehnsucht nach Freiheit und Wahrheit. Unter der pompösen Goldrobe mit den großen aufgenähten Brüsten trägt Turandot ein schlichtes weißes Hemd. Den Prinzen Kalaf (Magne Hovard Brekke), der sich um ihre Hand bewirbt, läßt sie einen flüchtigen Blick drauf werfen. Aber weil es schließlich nicht, wie im richtigen Märchen, die Kräfte des Guten sind, welche die Wende bringen, sondern die korrupten Hofschranzen des greisen Kaisers (wunderbar: Florian Martens!) sterben Turandot und Kalaf, und die Zukunft fällt aus. Der alte Kaiser ist pötzlich wieder jung. Hat jetzt die Wirklichkeit gesiegt, oder die alten Zustände?
Mit den ältesten Theatermitteln der Welt hat das Regieduo Straßburger/Herin hier ein sentimentales bis aberwitziges Märchen über die DDR vor und nach dem 9. November erzählt. Ein Glück auch, daß das Stück auch von wunderbaren Schauspielern in Szene gesetzt ist, von Angelika Kempter und Ulrich Schreiber märchenhaft ausstaffiert. Sie retten das Stück, wo sein roter Faden Koerbls ungezügelter Phantasie zum Opfer fällt. Wo Anspielungen zu plump und Witze zu simpel werden.
Wenn man das Theater verläßt, hat man die „Bremer Freiheit“ schon vergessen. Koerbls Turandot war kurz und chaotisch. Man hätte viel, was im Trubel von Bildern und Ideen unterging, gern genauer gewußt. Vielleicht beim nächsten Mal.
Esther Slevogt
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