: Briefwechsel: Rudi Dutschke - Josef Bachmann
Am 11. April 1968 wurde Rudi Dutschke durch drei Revolverschüsse lebensgefährlich verletzt. Vor zehn Jahren starb der APO-Veteran an den Spätfolgen des Anschlags. Heute wäre Rudi Dutschke 50 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlaß dokumentieren wir den Briefwechsel mit seinem Attentäter, der rechtsradikalen Kreisen nahestand und später (1970) im Knast Selbstmord beging. ■ D O K U M E N T A T I O N
Mailand, 9.Dezember 196
Lieber J. Bachmann!
Paß auf, Du brauchst nicht nervös zu werden, lies diesen Brief durch oder schmeiß ihn weg.
Du wolltest mich fertig machen. Aber auch, wenn Du es geschafft hättest, hätten die herrschenden Cliquen von Kiesinger bis zu Springer, von Barzel bis zu Thadden Dich fertig gemacht.
Ich mache Dir einen Vorschlag:
Laß Dich nicht angreifen, greife die herrschenden Cliquen an. Warum haben sie Dich zu einem bisher so beschissenen Leben verdammt?
Warum wurdest Du und wirst Du und mit Dir die abhängigen Massen unseres Volkes ausgebeutet, wird Deine Phantasie, wird die Möglichkeit Deiner Entwicklung zerstört. Warum werden wir alle noch immer geduckt und niedergehalten?
Für die Schweine in den herrschenden Institutionen, für die Vertreter des Kapitals, für die Parteien und Gewerkschaften, für die Agenten der Kriegsmaschinerie und der „Medien gegen das Volk“, für die Parteifaschisten gegen die Massen, die sich überall finden, dürft Ihr täglich schuften.
Die wenigen Tage der deutschen Revolution von 1918 haben die Massen den 8 Stunden-Tag erkämpft - 50 Jahre später muß unser ganzes Volk, um sich erhalten zu können, genau so sich quälen wie eh und je - nur in „schönerer“ unmenschlicherer Form. Die Studenten und Intellektuellen haben bisher an Eurer Benutzung und Ausbeutung sich beteiligt. Für uns taugen Studenten nur etwas, wenn sie endlich wieder ins Volk gehen. Die Intellektuellen und Künstler müssen endlich ihre auch schöpferische Phantasie fest mit dem Leben des Volkes verbinden, bei Euch arbeiten, Euch unterstützen, sich verändern, Euch und Dich verändern.
Was hält Du von diesem Vorschlag?
Ich habe viele Jahre auf dem Lande und in den Fabriken gearbeitet. Viele von uns, die die Universität abschließen, gehen jetzt als Gruppen in den Produktionsprozeß, um die Revolution vorzubereiten.
Also schieß nicht auf uns, kämpfe für Dich und Deine Klasse. Höre auf mit den Selbstmordversuchen, der antiautoritäre Sozialismus steht auch noch für Dich da.
Rudi Dutschke
P.S.: Da ich erwarte, daß Du diesen Brief nicht von den Staatsvertretern erhältst, gebe ich ihn auch der sogenannten Öffentlichkeit in der ganzen Welt. Die Antwort
Josef Bachmann
1 Berlin 21
Alt-Moabit 12a Berlin, den 15.1.6
Lieber Rudi Dutschke!
Ich möchte Ihnen nun ein zweites Mal schreiben, ich weiß nicht ob Sie meinen ersten Brief überhaupt bekommen haben. Natürlich möchte ich mich auch für Ihren zweiten Brief bedanken, den ich mit Begeisterung und großer Freude erhalten habe.
Der zweite Brief über Pfro. Helmut Gollwitzer hat mir über Sie noch einen besseren Einblick erlaubt wie bisher.
Ich möchte nochmals mein Bedauern über das aussprechen, was ich Ihnen angetan habe. Ich kann nur hoffen, daß Sie in ihrer Zukunft und Ihrer weiteren Laufbahn, die für Sie ja erst anfängt, keine ernstlichen körperlichen Schäden zurückbehalden werden.
Zur Zeit geht es mir etwas besser als wie in den ersten Monaten, wo ich versucht habe, mit allen Mitteln aus dem Leben zu scheiden. Ich hoffe ja, daß ich alles durchstehen werde und für mich auch noch einmal die Sonne scheinen wird, wenn nicht, bleibt mir noch immer Zeit, von dieser beschissenen Erde zu verschwinden.
Meine Einstellung über unsere heutige Deutschland-Politik ist im allgemeinen gut. Unser Wohlstand ist einer der besten auf der Welt, jeder hat Arbeit und Brot, jeder kann frei studieren und machen, was er will.
Nun frage ich mich, warum wird demonstriert, gegen was wird demonstriert, warum will man die Arbeiterschaft und unser heutiges System die Verbrecher Ulbricht und Genossen in die Hand spielen. Ich war oft in Ostberlin und habe sehr viel Kontakt mit der Jugend aufgenommen. Ich bin selbst vom Osten! Wenn man diese jungen Leude sprechen hört, dann ist es kein Wunder, daß sich mein Haß gegen alles richtet, was bolschewistich und kommunistich ist. Damit möchte ich Sie nicht mit dazu zählen.
Ich habe vielleicht von Ihnen eine ganz verkehrte Auffassung gehabt. Vielleicht haben Sie gar nicht so unrecht, wenn Sie meinen, daß unsere Ruhe und Ortnung schon etwas zu lange anhält. Wenn ich Sie richtig verstehe und mir ein Bild von Ihnen erlauben darf, wollen Sie und ihre Comilitonen ein besseres System erreichen als das heutige. Aber jetzt kommt die Frage, was soll das sein und wie will man etwas ändern, was gar nicht zu ändern geht, denn die breite Bevölkerungsschicht fühlt sich so wohl, daß sie überhaupt nicht daran denkt, sich etwas anderes aufschwatzen zu lassen. Solange es dem Volk gut geht und es sich wie die Made im Speck wohlfühlt, ist es sehr schwer, etwas besseres zu erreichen. Es sei denn es geht bergab, und die Masse steckt bis zum Hals im Dreck. Ich nehme ja nicht an, daß unsere heutige Generation eine Diktatur zustreben möchte, wie es in den Ostplock Ländern oder im 3 Reich möglich war.
Dubcek in der CSSR wollte nur ein bischen Freiheit für sein Volk, daß von dem russischen Kommunismus brutal undertrückt und ausgebeutet wird.
Es ist ja bekannt, daß Kommunismus und Faschismus die Menschheit versklaven und undertrücken will. Darum ist man heute in der Bundesrepublik wachsam was sich ziemlich links bewegt und verschidene Gruppen mit dem linken Auge nach Osten schauen.
Hiermit möchte ich schließen wünsche Ihnen, Rudi Dutschke, alles Gute und viel Erfolg für Ihre Zukunft.
Josef Bachmann
Beide Briefe sind in der Orginalorthographie wiedergegeben. Entnommen sind sie dem von J. Miermeister herausgegebenen Taschenbuch Rudi Dutschke, Geschichte ist machbar. Verlag Klaus Wagenbach
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