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Atomstaat in der Sackgasse

■ Geheimer französischer Regierungsbericht gibt Dumpingpreise im Stromexport zu Stillegung von ausrangierten Atommeilern „zur Zeit unmöglich“

Paris (taz) - Wenn Elefanten Selbstkritik üben, müssen sich die Mäuse fürchten. Denn dann ist die Lage verzweifelt. Philippe Rouvillois, Oberverwalter von Frankreichs allmächtigem Atomenergie-Kommissariat (CEA), hat mit zwei Gesinnungsgenossen einen regierungsinternen Geheimbericht zur Lage der Atomwirtschaft vorgelegt, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigläßt: Überproduktion, ruinöse Dumpingpreise im Stromexport, gähnende Lücken im Brennstoff und gefährliche Verkalkung im Ideenkreislauf der Atomwirtschaft. Und: eine öffentliche Meinung, die jede Endlagerung bislang unmöglich machte.

Der gestern in Paris bekanntgewordene Bericht zerpflückt das Selbstverständnis des französischen Atomstaats von A bis Z.

A wie Antizipation: „Die Verlangsamung (des Stromverbrauchs) ist bis 1983 von EDF („Electricite de France“) nicht ausreichend berücksichtigt worden. (...) Zur Zeit muß von einer Überkapazität von sieben bis acht Blöcken, also etwa 10 Gigawatt ausgegangen werden“, heißt es.

B wie Brennstoffkreislauf. Seit die Zwischenlagerkapazitäten in La Hague und Marcoule erschöpft sind, versucht die CEA-Tochter ANDRA, die sich um Endlagerstätten zu kümmern hat, an vier Stellen Probebohrungen durchzuführen. Vergeblich: Überall stiegen die örtlichen Bauern auf die Barrikaden und zerstörten Bohrmaterial. „Die Akzeptanz in der lokalen Bevölkerung“, klagt der Bericht, sei das Hauptproblem im ganzen Kreislauf: „Unter diesen Umständen scheint es unerläßlich, daß die öffentlichen Instanzen sich rasch für einen Standort entscheiden, um ein Umschwenken der öffentlichen Meinung (an allen möglichen Standorten) zu vermeiden. (...) Wichtiger Gesichtspunkt muß es sein, eine Verweigerungshaltung auf nationaler Ebene zu vermeiden.„ Eine Entscheidung zu treffen, das hat Premier Rocard Anfang Februar Fortsetzung auf Seite 2

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erst einmal für ein Jahr verschoben.

S wie Stillegung. Nach den Berechnungen der CEA werden sich die Kosten für Stillegungen ausgebrannter Reaktoren auf „10 bis 50 Prozent der ursprünglichen Investitionskosten belaufen“. Eine „langfristige Erhöhung der Gesamtkosten“ der Atomwirtschaft müsse folglich angenommen werden. Angesichts der fehlenden Endlagermöglichkeiten sei, so der Bericht weiter, eine Dekontaminierung aller alten Anlagen „zur Zeit, vor allem wegen der anfallenden Menge“ nicht möglich. Die ausgebrannten Blöcke müßten also wei

ter in der Landschaft stehen. Von den zur Zeit 55 laufenden AKWs müssen bis 1998 die AKWs St.Laurent 1 und 2, Bugey 1 und Chooz stillgelegt werden.

Und schließlich Z wie Zaster: „(Strom-)Exporte sind nicht sehr einträglich für EDF: im Schnitt (bringen sie Einnahmen von) 22,4 Centimes pro Kilowatt-Stunde, während die Gesamtproduktionskosten 22,5 Centimes“ betragen. Der CEA -Verantwortliche gibt damit etwas zu, das von der EDF noch Ende Januar bestritten wurde: Frankreich exportiert seinen Atomstrom zu Dumpingpreisen.

All das hatte das kritische Publikum natürlich schon lange vermutet. Daß es erst jetzt in die Nuklear-Nomen

klatura gedrungen ist, liege, so die Verfasser, an der „Überalterung“ der Manager, „einem gewissen Rückzug auf sich selbst und einer Verwaltung, die in sehr bedenklicher Weise unangepaßt ist“.

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