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Anwesenheit der Abwesenden

■ Installation und Malerei von Heide Pawelzik im Kunstverein in Oldenburg

Vierundzwanzig Metallpritschen stehen exakt in Zwölferreihen aufgereiht. Auf jeder Pritsche liegt eine sorgfältig doppelt gefaltete Decke. Alle besonders penibel angeordnet. Wie die ganze Instalation, deren kalt serielle Geometrie sofort an beamtisch befolgte Vorgaben denken läßt. „Lazarett“ nennt die Bonner Künstlerin Heide Pawelzik(38) ihre jüngste Installation, die neben großformatigen Bildern im Oldenburger Kunstverein gezeigt wird.

Die erste Assoziation an Notkrankenhäuser für Katastrophenfälle wird jedoch sofort beiseite geschoben durch das viel bedrückendere Bild von Massenunterkünften für Asylanten, Obdachlose und DDR-Flüchtlinge. Was Pawelzik als künstlerisches Gegenbild entworfen hat, ist mit der immer katastrophaleren Zwangseinpferchung von Erwachsenen und Kindern in Turnhallen, „Hotel“ genannten Dreckslöchern

und Luftschutzbunkern, längst das Normalbild des Hinterhofs unserer Hochglanzgesellschaft. Ohne Frage geht es Pawelzik immer um den Menschen, in der Installation wie auch in ihren finsteren Malereien. Doch nirgens taucht er auf.

Gerade das Fehlen der Menschen in der erstarrten Atmosphäre zwingt den Betrachter, die Anwesenheit des Abwesenden in der Vorstellung durchzuspielen. Gefährliche Ruhe liegt in der Luft, der Tag nach der Neutronenbombe dürfte eine ähnlich ordentliche Fassade vorzeigen, aber es wäre niemand da, den Staub zu wischen. Natürlich rührt die spröde Erbärmlichkeit der Materialien Emotionen auf - die Pritschen sind aus dünnen Eisenrohren zerbrechlich zart und mit 40 cm Breite nicht zum geruhsamen Schlaf gedacht und die Decken sind aus bröseligem Pappmache geformt. Doch weder gefällt sich die Kunst Pawelziks in purer

arte provera-Ästhetik, noch verfängt sie sich inhaltlich in schwülstigem Moralpathos. Die Strophe aus Erich Frieds Gedicht „Gegen Vergessen“: „Ich will mich erinnern / an die Vergangenheit und an die Zukunft / und ich will mich erinnern / wie bald ich vergessen muß / und ich will mich erinnern / wie bald ich vergessen sein / werde„, steht zwar für die inhaltliche Programmatik des gesamten Werks der Künstlerin, nie formt sie jedoch eine Aussage als greifbar Deutbares aus.

Ihre formalen, bewußt banalen

Situationen, arrangiert sie aus ebenso banalen Materialien wie säurezerfressen wirkendes Papiermache, Asche, Holzkohle und Blei. Die Betrachter sind es, die die auratischen Räume mit ihren persönlichen Erinnerungen und Assoziationen zu vollständigen Bildern und erlebten Geschichten werden lassen. Im Bewirken dieser Symbiose von künstlerischer Aussage und existenzieller Betroffenheit der Einzelnen liegt die Qualität dieser Kunst.

Achim Könnek

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