: Socken und Jesusse
■ Versteigerung von damen- und herrenlosem Gut im Bahnhof Zoo
Immer schon hätten wir gerne gewußt, was denn so alles sich in anderer Leute Koffern verbirgt. Ganz zu schweigen von all den geheimsten Gütern, die Leute fremden Schließfächern anvertrauen. Daß in ersteren und letzteren Leichenteile, Kokainbeutelchen, Pillenpäckchen für Frischteenies, Dollarblüten, die kleine mobile Transvestitenausstattung für den nächtlichen Ausgang und im übrigen alles, was Ehemänner nie sehen dürfen, lagert, ist uns ja aus Film, Funk, Fernsehen geläufig. Aber was noch?
Alle Vierteljahr läßt die Deutsche Reichsbahn (DR) sich in Koffer und Schließfächer sehen. Und wer will, kann dann jeweils fünf Tage lang von 18 bis 21 Uhr deren Inhalte ersteigern. Die werden allerdings vorher geprüft; und alles dem Volke „Gefährliche“, wie Pornohefte, Molliebauanweisungen und sozialistische Flugblätter etc., wird vorher aussortiert. Und Leichenteile usw. (siehe oben) offenbar auch. Denn was der Versteigerer vorstellt, sind dann doch nur zwei Unterhosen, vier Paar Socken, ein Kostüm und dergleichen höchst Überraschungsloses, aber bestens Verwertbares. Ab fünf Mark kann man koffer- bzw. schließfachweise mitsteigern. Und was einem - bei solchen Katzen-im-Sack-Käufen - nicht gefällt, verkauft oder verschenkt man sofort an Ort und Stelle weiter: die Rockplatte im Damenkoffer, die Knobelbecher oder das Windelpaket.
Der Jesus lag übrigens einzeln im Schließfach, ebenso wie das Rasierzeug. Der erste ging für eine Mark-West weg, das letztere für deren drei. Welche Lebensumstände allerdings dazu führen, daß man seinen Jesus, Koffer, Rasierpinsel einfach vergißt, wüßten wir zu und zu gern. Bei Leichenteilen liegen die Dinge da klarer.
Die nächste Versteigerung im Bahnhof Zoo ist im Mai. Hinweise finden sich an verborgenen Stellen jeweils in Bahnhofsbereichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen