: Irgendwie ist alles blau
■ Die Eröffnung des neuen Heidelberger Kunstvereins mit „Blau - Farbe der Ferne“
Überfällt einen die Melancholie, scheint die Welt einen kalten, blauen Stich zu bekommen. In Amerika heißt das Blues. Aber auch die Verlockung warmer Sommertage hat etwas von Blau. Und die Farbe der Ferne? Sie sei auch Blau, heißt es, und stehe sowohl für die Freiheit in der Ferne als auch für das Gefühl der Verlorenheit. Nicht genug damit. Tag und Nacht sind blau, das Meer des Südens und das Eis des Nordens. Was ist Blau eigentlich? Etwa alles und nichts? Und muß eine Austellung, die sich diese Farbe zum Thema nimmt, nicht zwangsläufig in einer beliebigen Bilderflut ertrinken? Das ausprobiert zu haben, kann sich jetzt der Heidelberger Kunstverein rühmen. Er weiht mit Blau - Farbe der Ferne seine neuen Räume im Zentrum der Stadt ein, und die sind auch Zentrum der Ausstellung mit chronologisch geordneten Exponaten zum Thema: vom mittelalterlichen Mantel der Maria über Arnold Böcklins Geburt der Venus zu Cy Twomblys Ohne Titel - Aphrodite Anadyomene. Böcklins Mitte des letzten Jahrhunderts entstandenes Bild der aus Meerschaum geborenen Liebesgöttin zeigt schon eine klare Abgrenzung zu romantischen Farbfindungen. Das Wasser wird zur Göttin hin fahl, sie selbst ist in einen hellblauen, durchsichtigen Schleier gehüllt, der sie kalt und überirdisch erscheinen läßt. Beim amerikanische Künstler Twombly wurde die Göttin vor zehn Jahren zu einem Rechteck, das einem blaßblau schraffierten Farbfeld entsteigt. Es wirkt, als sei das Mythische aus dem Bild verbannt, und doch lauert es - im Farbfeld, in den Schriftzeichen des Titels, der keiner sein will. Neben solchen thematischen Linien stößt man immer wieder auf Bilder und Installationen, die die Farbe selbst thematisieren - meist in ironischen Brechungen. Timm Ulrichs zeigt fünf Tafeln mit unterschiedlichen Titeln: Kobaltblau, Himmel, Meer, Treue, Romantik (Die blaue Blume) - eine Persiflage auf die symbolische Überlast, die die Farbe zu tragen hat. Alle Tafeln sind gleich blau. Sigmar Polke ist mit zwei Bildern vertreten, von denen eines explizit den Symbolgehalt der Farbe zum Thema hat. Sein in den 60er Jahren entstandenes Liebespaar (siehe Bild) ist bläulich konturiert, während die Südseeinsel eher blaß wirkt - der Traum ist im Kopf und nur dort ist alles blau. In einem zweiten, etwa zur gleichen Zeit entstandenen Bild, reiht er blaue Delfter Kacheln mit den klassischen Motiven. Ein ironischer Kommentar, aber nicht zur Farbe, sondern zur seriellen Minimal Art. Titel: Carl Andre in Delft. Als habe er das aufgreifen wollen, malte der junge belgische Künstler Wim Delvoye dieselben Kachelmotive auf Gasflaschen und arrangierte sie zu einer witzigen Installation Delfter Butangasflaschen. Solch thematische Linien und ironischen Spiele mit den Bedeutungsgehalten der Farbe lassen sich häufiger finden. Trotzdem hat sich Heidelbergs „Blau-Schau“ jene Krankheit gefangen, von der Themenausstellungen solcher Größe häufig heimgesucht werden. Man steht vor einer Kunstanhäufung und hakt ab: Chagall, Picasso, Ives Klein (mit einem ganzen Raum), Andy Warhol. Was übrig bleibt: Aha, der auch... Ob das der richtige Weg für einen mittleren Kunstverein ist, während sich die großen Städte eh schon darin überbieten, gehetzte KunstkonsumentInnen heranzuziehen - es ist fraglich. Ein Drittel der Deutschen geben Blau als Lieblingsfarbe an, und man wünscht dem Kunstverein eine ähnliche Publikumsgunst. Er braucht sie. Denn die bisher größte Ausstellung, die Heidelberg je sah, ist auf Besuchermassen angewiesen. Ansonsten endet das Mammutunternehmen Blau als finanzielles Debakel und erschwert die künftige Arbeit des Vereins - wenn das nicht von anderer Seite besorgt wird (siehe Kasten). Zur Zeit aber herrscht noch allerorten eitel Blau - auf dem Schloß, in der Universität und mehreren anderen Ausstellungsräumen. Die „Farbe der Romantik“ hat die Stadt überflutet, die selbst Inbegriff deutscher Romantik ist.
Jürgen Berger
Die Ausstellung dauert bis 13. Mai und ist täglich von 10 bis 19 Uhr, mittwochs und donnerstags von 10 bis 21 Uhr geöffnet. Montags geschlossen. Der Katalog zur Ausstellung erscheint im Wunderhorn-Verlag (58 DM).
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