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Ganz Gerippe

■ Grübers Inszenierung des „Phönix“ von Zwetajewa

Elke Schmitter

Manchmal beruht Kunst auf Pedanterie, Ästhetik auf Erstarrung, Magie auf Kalkulation: Klaus Michael Grübers Inszenierung des Dreiakters „Phönix“ von Marina Zwetajewa.

Das Stück beginnt eigentlich in einer Küche, setzt sich fort im Speisesaal und endet in der Bibliothek. Mit dieser zunehmenden Sublimierung der Begierden wird der Lebensweg des Giacomo Casanova von Seingalt reflektiert, geboren als „kleiner Wurm und blutbefleckt“, bekannt geworden als größter Verführer seiner Zeit, gealtert als Bibliothekar und lächerlicher Greis im Schloß Dux in Böhmen. Dreistufig auch die Sprache: In der Küche lästert das Gesinde über die Vogelscheuche, den Vielfraß, den Bluffer Casanova, im Speisesaal mokiert sich die Hofgesellschaft über den Habenichts, in der Bibliothek schließlich hält der Dichter einsam und wortreich Rückschau auf sein Leben: „Allein bist, Casanova, du, allein, allein, mit aller Liebe quitt!“

Die Inszenierung beginnt erst mit dem zweiten Akt. Das ist bedauerlich, aber unumgänglich, wenn man, wie Grüber, auf eines setzt: Magie. Nach einer langen Stille im Dunkel wird zart ein Mädchenkopf aus dem Nichts gebildet, allein durchs Licht, wie eine Ikone. Dieses Mädchen, nicht unähnlich der Dichterin selbst, spielt auf einem schwarzen Flügel Schumann; leise, ungelöste Harmonien, trauriger Nachlaß der Romantik. Das geht minutenlang. Schließlich werden junge Frau und Flügel, verhalten knartzend, abgezogen; hereingefahren kommt ein Tisch, gedeckt zum Abendmahle. Die Tafel wirft von unten ein steiles, hartes Licht, das durch die opulenten Dekorationen - Fruchtschalen, Pasteten und Hummerleiber - die Sitzenden mit einem roten Schein beschlägt. Alles ist Erstarrung. Der Speisesaal, eine Gruft eher als ein Lebensraum, ist verziert mit Genrebildchen, die Ikonen kopieren, darunter bilden Menschen eine Gesellschaft, um den Pariser Hof zu kopieren... Die Puppen und Schranzen, zwölf an der Zahl, wenden geziert die gepuderten Köpfe, als der Alte den Raum betritt, um an seinem Katzentisch zu Abend zu speisen. Und applizieren ihre Sottisen - im Rezitativ.

Grüber bricht gelassen mit den Gesetzen des Hörverstehens und setzt damit über weite Strecken den Text außer Kraft. Sprache wird zelebriert, ist nicht mehr als ein ästhetisches Element in dieser Inszenierung; ihre akustische Verständlichkeit nimmt aber zu, sobald sie wieder der Verständigung dient. So ist es möglich, wenn auch mit Anstrengung verbunden, der (in der Küche) geplanten Intrige zu folgen: der alte Dichter soll durch dumme Verse provoziert werden, selbst etwas zum Besten zu geben und so zur Erheiterung beizutragen. Der Plan gelingt, wird aber in sein Gegenteil verkehrt; statt eine launige, erotische Geschichte zu erzählen, spricht Casanova von Schmerz, Gestank und Tod, von seiner schweren, blutigen Geburt als „Sohn der Straße“. Sein Auditorium verläßt ihn nach und nach auf Zehenspitzen, das Taschentuch vor die zarten Lippen gehalten, Ekel und Übelkeit nur mühsam unterdrückend: Wir sind allein mit dem Dichter des Auswurfs, als sich langsam der Vorhang schließt.

Der dritte Akt kreist um eine Erscheinung. Die vielleicht letzte Liebe Casanovas, ein Naturkind mit rotem Lockenkranz, kommt wie das Christkind (aber es ist Sylvesternacht 1799), Schneeflocken auf dem Mäntelchen, aus dem Wald und stört den Abschied des Helden von seiner Geschichte. Das Ziel ihrer Träume sitzt mit gepackten Koffern in der Bibliothek und zerknüllt alte Briefe, wirft eine geheime Liebschaft nach der anderen ins Feuer. „Nichts Ruinenhaftes, ganz Gerippe“, beschreibt Marina Zwetajewa ihre Hauptfigur: „Könnte sich schlagartig in Staub auflösen. Bis zu diesem Augenblick aber ist er ganz die Formel des 18. Jahrhunderts.“

Es ist gespenstisch, wie vollkommen Bernhard Minetti dieses Bild verwirklicht. Jede Bewegung, jeder Laut, jede Bewegung noch eines Fingergliedes ist kalkuliert auf eines hin: Erhabenheit. Das im Winter erschienene Doppelheft des Merkur hat über das Erhabene weniger Aufschluß geben können als dieser Abend im Theater, der mit äußerster Reduktion auf den ästhetischen Kern und höchster Genauigkeit diese Empfindung - dies Erstarren zwischen Ironie und Pathos - als Erlebnis erzeugt.

Phönix, für diese Inszenierung nachgedichtet von Ilma Rakusa, ist noch nie aufgeführt worden. Die 1919 entstandene Dichtung erschien 1924 in der Prager Zeitschrift 'Wolja Rossii‘. Marina Zwetajewa war von Moskau in die Tschecheslowakei übergesiedelt, nachdem ihr Mann, der im Bürgerkrieg auf der Seite der weißen Freiwilligenbewegung mitgekämpft hatte, verschollen und ihre einzige Tochter in einem russischen Kinderheim verhungert war. Sie zog von dort 1925 nach Paris, schrieb Essays zur Literatur, autobiographische Prosa und Lyrik, lebte mit ihrem Mann Sergey Efron und ihren Kindern in ärmlichsten Verhältnissen. Als schließlich Sergeiy Efron, um der prekären Situation ein Ende zu machen, dem „Verband der Heimkehrer in die UdSSR“ beitritt und ab 1935 für den sowjetischen Geheimdienst arbeitet, folgt sie ihrer Familie 1939 zurück nach Rußland. Die „Heimkehr“ wird fürchterlich: die Schwester ist im Arbeitslager, Tochter und Mann werden verhaftet. Im Gegensatz zu der Lyrikerin Anna Achmatowa reichen ihre Kräfte nicht aus, diese Jahre zu überstehen: Nach dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion nach Jelabuga (Tatarische Autonome Sowjetrepublik) evakuiert, nimmt sich Marina Zwetajewa dort am 31. August 1941 das Leben.

Vom Theater hielt die Dichterin nicht viel, es war für sie „eine Art Blindenschrift“ für die, deren Phantasie nicht genügte, das „Alleinsein mit dem Dichter, das Alleinsein mit dem Traum“ mit Leben zu erfüllen. So wurde keines ihrer sechs Versdramen zu ihren Lebzeiten aufgeführt. Klaus Michael Grüber hat einen Anfang gemacht.

„Phoenix“, von Marina Zwetajewa, Schaubühne am Lehniner Platz, Regie: Klaus Michael Grüber, Bühne: Francis Biras, Kostüme: Moidele Bickel, mit Bernhard Minetti, Karoline Eichhorn, Walter Schmidinger, Udo Smel u.a. Die nächsten Vorstellungen: 13., 17. und 23. März

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