: Man hört schon halbe Wörter
■ Interview mit Dieter Reifarth, Regieassistent bei „Hotel Terminus“
taz: Marcel Ophüls hat nach einer Vorführung einmal gesagt, die alten Nazis würden ihn inzwischen gar nicht mehr besonders schocken oder empören, weil er sich an ihre Geschichten schon gewöhnt hat und weil er schon seit zwanzig Jahren in diesem Dreck rührt. Wie war das bei Dir? Als Ihr zum Beispiel bei Herrn Gustmann im Wohnzimmer gedreht habt?
Dieter Reifahrth: Der Gustmann ist schon ein Jahr vorher kontaktiert worden. Und zwar kurz vor Weihnachten. Am Telefon sagte er mir: „Barbie habe ich gut gekannt, aber Ihnen erzähle ich keinen Ton davon! Sie können mich mal, Frohe Weihnachten.“ Und ein Jahr später war er dann doch bereit zu reden. Nicht nur diese Vorgeschichte, auch die ganze Anspannung erzeugte paradoxerweise eine unglaubliche Kälte, eine Kälte dem Gesagten und diesem Menschen gegenüber. Das einzige, worauf ich zum Beispiel gachtet habe, war, daß die Reihenfolge der Fragen, die wir vorher abgesprochen hatten, einigermaßen stimmte, weil das bei ihm einer genauen Dramaturgie unterworfen war.
Anders als bei anderen?
Jein. Es gab eine Sache, von der haben wir uns einiges versprochen, und darauf sollte erst ganz am Schluß die Rede kommen, weil wir dachten: Spätestens bei diesem Punkt wird er uns rausschmeißen. Ophüls hat auch danach gefragt, und der Gustmann ist komischerweise bereitwillig darauf eingegangen... Das ist leider nicht im Film drin.
Worum ging es da?
Barbie war in der Nachkriegszeit öfter in ganz einfache Offizialdelikte verwickelt. So ist er bei einem Baron in Kassel in Begleitung zweier Assistenten aufgekreuzt, hat sich als Kriminalpolizist ausgegeben, hat alles, was an Schmuck und Wertsachen da war, konfisziert und ist damit verschwunden. Der Schmuck ist angeblich später von einem amerikanischen Jeep wieder zurückgebracht worden. Dem Barbie ist nichts passiert, obwohl ziemlich klar war, daß er mitgemischt hat. Bloß seine beiden Kumpane wurden vor Gericht gestellt, und einer davon war der Herr Gustmann. Bis zu dem Gespräch mit dem Herrn Gustmann galt das nur als eine von vielen Revolvergeschichten, die Barbies Vita zieren... Wir dachten, wenn er darauf angesprochen wird, dann wird er sicher streiken, aber im Gegenteil, er hat sehr bereitwillig geantwortet.
Wie lange warst Du mit dem Film beschäftigt?
Über zwei Jahre lang. Ich machte die Recherchen für den deutschen Teil, aufbauend auf dem Material von Christopher Simpson. Reine Drehzeit waren vier oder fünf Wochen. Die Vorarbeiten haben eigentlich schon angefangen bei einem kleinen Film für das französische Fernsehen über Bitburg (Les tombes du president). Im Barbie-Film gibt es auch eine Stelle, und zwar im Zusammenhang mit dem Gustmann -Interview, wo ein spontaner Reflex entstanden ist, Bitburg mit einzuflechten: Der Gustmann sagte, daß der erhebendste Augenblick in den letzten Jahren für ihn gewesen sei, als tremolierende Stimme - „Ihr Präsident mit meinem Kanzler am Grab der toten Kameraden in Bitburg stand“.
Eine der Schwierigkeiten bei dieser Arbeit war für mich das Gefühl, permanent gegen den Willen von Leuten operieren zu müssen; immer gegen eine Mauer zu rennen und sie von etwas überzeugen zu müssen, was sie eigentlich zutiefst ablehnen. Das hat eine eigenartige Nervosität erzeugt. Wie eine gespannte Feder herumzulaufen, sofort intervenieren zu müssen; davon wird der gesamte Reaktionsapparat erfaßt; man wird ungeheuer aufmerksam, hört schon halbe Wörter, um sofort darauf zu reagieren.
Was ich nie verstanden habe, ist, warum auch die Leute aus der Zeit nach '45 so ablehnend waren... Die haben sich gewunden, als hätte man sie gerade im Kaufhaus beim Klauen erwischt. Die erste Frage war immer: Wie kommen Sie denn ausgerechnet auf mich? Woher haben Sie meine Adresse? Und da gab es sogar welche, die unter völliger Realitätsverleugnung gesagt haben, daß sie niemals mit den Amerikanern zu tun gehabt haben. Gerade wenn man die allgemein verbreitete Hochachtung vor der deutsch-amerikanischen Freundschaft in Rechnung stellt, ist das rätselhaft. Als würden sie es in ihrem Innern doch als ehrenrührig ansehen, in diesen Jahren für die Amerikaner gearbeitet zu haben. Zum Beispiel Polke...
...auf dem Ophüls ja ziemlich rumhackt.
Tut er das denn? Es ist doch an keiner Stelle von einer schuldhaften Verstrickung Polkes die Rede. Ich bin felsenfest davon überzeugt, daß er die Wahrheit sagt. Er hat halt die Vopo-Gefängnisse ein bißchen ausspioniert und hat diese Informationen im Petersen-Büro abgeliefert. Ob er nun dem Barbie geholfen hat oder nicht... Was heißt das denn? Der Mann war sehr ängstlich. Fast konnte man glauben, er hatte aufrichtig Angst, er könnte - also Konjunktiv - den Barbie damals getroffen haben.
Aber am Schluß wird doch fast mit dem Finger auf ihn gezeigt und gesagt: Guckt mal, das ist ein Feigling.
Warum? Da hat sich jemand selbst dargestellt, der zur gleichen Zeit, im gleichen Wirkungskreis wie der Barbie tätig war, und er hat aus seiner Perspektive diesen Wirkungskreis beschrieben, das heißt aus der Perspektive des kleinen deutschen Auftragnehmers. Die anderen, die über Memmingen und das Petersen-Büro erzählen, sind alles Amerikaner, also Auftraggeber. Im Rahmen der dramaturgischen Gesamtkonzeption war es quasi zwingend, auch den „Gegenschuß“ eines Auftragnehmers zu kriegen, und der Polke war einer der ganz wenigen, die sich überhaupt stellen wollten, allein deshalb ist er kein Feigling.
Gab es denn Leute, die zu dem Zeitpunkt, als Ihr sie interviewt habt, schon wieder in ganz anderen Schweinereien stecken? Über Schneider-Merck zum Beispiel gibt es doch Gerüchte über die Beteiligung an Waffenschiebereien...
Da müßt Ihr ihn anrufen und fragen, was er heute so macht. Das war aber nicht unser Ziel. Ein interessanter Fall im Zusammenhang dieser Frage wäre bestimmt auch der Fiebelkorn, weil ihm zur Last gelegt wurde, in den Anschlag auf den Bahnhof von Bologna (1983) verstrickt gewesen zu sein. Ophüls hat ihn auch danach gefragt: „Herr Fiebelkorn, man sagt usw.... Stimmt das?“ Darauf der Fiebelkorn: „Quatsch, das versucht mir der italienische Geheimdienst in die Schuhe zu schieben.“ Das Problem war ja oft, wie geht man mit den „Nebengleisen“ der Geschichte um? Das „Nebengleis“ Fiebelkorn könnte ohne weiteres eine interessante Hauptstrecke ergeben, aber in Hotel Terminus ist die Hauptstrecke eben: The Life and Times of Klaus Barbie.
Was würdest Du als Ophüls-Touch bezeichnen? Wie kriegt er diese Interviews zustande?
Zum Teil durch außerordentliche Konzentration während der Gespräche. Dann natürlich auch durch Respektlosigkeit. Er kennt einen Weg, die Leute nicht zu verletzten, sie nicht zu überfallen, und sie trotzdem ganz respektlos auszukundschaften. Er ist sehr offen, einfach, reagiert blitzschnell und weiß genau, was er will.
Das Besondere bei ihm ist vielleicht, daß er ganz früh und ganz genau merkt, ob die Interviewpartner auf ein Ablenkungsmanöver zusteuern. Und manchmal hat er eine diebische Freude dabei, so zu tun, als würde er mitspielen, aber nur, um genau dieses Manöver deutlich zu machen. Und wenn er das auf den Punkt gebracht hat, kommt er wieder auf den roten Faden zurück. Und diese Überraschungen machen einen Großteil der Vitalität von Hotel Terminus aus.
Das Gespräch führten Ralph Eue, Dagmar Kamlah und Hildegard Meyer
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