: Leipzigerinnen feiern den 8. März
Den ersten Internationalen Frauentag nach der Wende begehen die Frauen alleine - ohne offizielles Programm ■ Aus Leipzig Ellen Petry
Der 8. März, mittags auf dem Karl-Marx-Platz oder dem „Platz vor der Oper“, wie er auf den Plakaten, die den Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl in Leipzig ankündigen, genannt wird: Drei junge Frauen erklimmen den Mende-Brunnen vor dem Gewandhaus und wickeln die Brunnenfiguren in buntes Krepp papier ein. Heute ist Internationaler Frauentag, und Leipzigs Bürgerinnen begrüßen ihn. Sie sollen wissen, wem sie ihren Lieblingsbrunnen zu verdanken haben. Denn Frau Mende war eine reiche Leipziger Puffmutter des letzten Jahrhunderts, der die Stadt nicht nur den Brunnen zu verdanken hat.
Keine Chance für
weibliche Action-Kunst
Doch einige BürgerInnen wissen das nicht zu schätzen. Sie schimpfen und fürchten, die städtischen Grünanlagen könnten in Mitleidenschaft gezogen werden... Kurz darauf tauchen zwei Männer im Arbeitskombi auf und zerstören das weibliche Kunstwerk a la Christo.
Neben dem Mende-Brunnen feiern Leipzigerinnen ihr Straßenfest. Es herrscht Wahlkampf, und die Vertreter der Parteien verteilen ihre Flugblätter, die der PDS auch rote Nelken. Der Demokratische Frauenbund (DFB), der zusammen mit dem Unabhängigen Frauenverband, der aus dem Neuen Forum hervorging, am Leipziger Runden Tisch ein Referat für Frauenpolitik ins Leben gerufen hat, sammelt Unterschriften für den Erhalt von Kindereinrichtungen und gegen die Einführung des Paragraphen 218. Tags zuvor hatten vierzehn Leipziger Betriebe am Runden Tisch den Antrag gestellt, ihre Betriebskindergärten und -krippen mit insgesamt 800 Plätzen wegen Unrentabilität schließen zu dürfen. Der Antrag wurde abgelehnt.
Viele LeipzigerInnen fürchten, daß einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten soziale Errungenschaften, die in der DDR selbstverständlich geworden sind, zum Opfer fallen. Helga Ulrich, Vorsitzende des Leipziger DFB: „Ich rechne mit niedrigen Scheidungsraten. Einfach deshalb, weil die ökonomische Abhängigkeit von Frauen wieder wachsen wird. Was soll dann aus all den alleinerziehenden Müttern werden, die zur Zeit noch gesellschaftlich relativ gut gestellt sind?“
Thema Kinderbetreuung
Abends gegen 18 Uhr ziehen rund hundert Frauen mit ihren Kindern und auch eine Handvoll Männer durch die Leipziger Innenstadt. Der Demonstrationszug ist zwar nicht aufsehenerregend, aber auch nicht zu übersehen. Sein Ziel ist der „Klub der Intelligenz“, wo heute abend der Unabhängige Frauenverband seinen „Alternativen Frauentag im Klub“ initiiert hat. Nicht nur Ragtime, auch ein Podiumsgespräch zum Thema „Frauen in der Politik“ steht auf dem Programm.
Geladen wurden VertreterInnen fast aller Parteien, aber der konservative Flügel hat bezeichnenderweise gekniffen. So muß die Volkskammerkandidatin des DFB, Frau Barbara Höll, sich einige Anfeindungen gefallen lassen. Zu sehr klebt noch das Image des hausbackenen Strickvereins an ihrer Organisation.
Man diskutiert das Für und Wider innerparteilicher Gruppierungen, doch schnell landet man wieder beim Thema Kinderbetreuung. Nicht über die Frau in der Politik, sondern über die Frau in der Gesellschaft und den Begriff Feminismus, der vielen noch als ein Schimpfwort erscheint, wird diskutiert. Katrin Gerstorff vom Unabhängigen Frauenverband: „Die Diskussion war anders geplant, aber Frauen in der Politik sind noch nicht im Gespräch. Politikerinnen sind eben noch nicht üblich. Die sozialen Fragen brennen den Frauen einfach mehr auf den Nägeln.“
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