: Im Schatten der Vereinigung
■ Nicht nur DDR-Frauen fürchten, daß sie die Verliererinnen im Einigungsprojekt Deutschland werden. Sie haben Angst, soziale Errungenschaften zu verlieren. Frauen in der BRD hingegen bangen um die mühsam erkämpfte neue Geschlechterkultur
Gisela Anna Erler
In Revolutionen werden Frauen mit Undank behandelt - so auch diesmal in der DDR. In politischen Krisenzeiten stellen sie sich hinter ihre Mannen, so diesmal in der Bundesrepublik. Die Mehrheit der politischen Kaste von Frauen in der Bundesrepublik, von den Grünen über SPD und FDP bis weit in die CDU war und ist zum Teil noch gegen die (Wieder -)Vereinigung - doch wo sonst auch unpopuläre Minderheitenpositionen aufrechterhalten wurden, da erfolgte diesmal Unterwerfung unter die Männerräson.
Diese ängstliche Zurückhaltung hatte auch den edlen Grund, die DDR-Frauen nicht einfach zu übergehen. Denn dies schien in der DDR klar: Die Frau des Volkes wollte die Vereinigung. Wo der bundesdeutschen Frauenszene die Normalfrau mit Mann und Kind selten viel Rücksicht wert war, wurde wenigstens die Volksgenossin von drüben respektiert. Die Vorbehalte der unabhängigen und linken Frauen in der DDR, eine große und wichtige Minderheit, blieben ohne Resonanz. Für uns alle wäre es besser gewesen, wir hätten diesen Kotau vor Männern, Weltgeschichte, einer möglichen DDR-Mehrheit unterlassen, wir hätten diese große, falsche Schweigen gebrochen. Sicher wäre dadurch nicht die Einigung gestoppt worden, aber vielleicht hätten wir zu anderen Modalitäten beigetragen. Rückkehr zur Männerkultur
Es geht, allen Sozialcharten zum Trotz, nicht allein um die sozialen Errungenschaften für Frauen in der DDR, die schließlich in einem Rahmen von extrem frauenfeindlicher Überbelastung angesiedelt sind. Nach Vollzug des Einigungsprojekts wird wohl trotz aller Probleme die Mehrzahl der Frauen in der DDR in absehbarer Zeit ökonomisch besser leben als heute. Hinzukommen allerdings traumatische Identitätskrisen und rücksichtslose Entwertung ganzer Lebensinhalte.
Es geht vor allem um einen Rückfall in der politischen Kultur: In der Bundesrepublik haben sich Männer in den letzten 20 Jahre gegenüber Frauen ein ganzes Stück verändert; vor allem fordern sie heute die öffentliche und private Totalversorgung nicht mehr mit derselben Ungebrochenheit. Nicht immer freiwillig, oft verbunden mit heftigen Ressentiments. Frauen haben gegenüber früher ungeahnte Selbstverwirklichungsträume, Abgrenzungen gegenüber Männern und kooperative Identitäten mit anderen Frauen entwickelt. Alles noch zu wenig, alles noch labil. Doch gemessen an der Wucht, mit der in der DDR, in allen ex -realsozialistischen Ländern, die patriarchale Kultur herrscht und Frauen kulturell auf Männer bezogen sind, ist hier viel zu verteidigen. In der welthistorischen Großpolitik wird Frauenpolitik zur Nebensache. Männer sind wieder fast ungestört unter sich - es kommt für sie in der Bundesrepublik wie ein Segen, daß in der DDR die Frauen meist viel bescheidener, viel stärker an Männern orientiert sind - daß sie vor allem Angst haben, als feministisch -kratzbürstig und männerfeindlich zu gelten. Dieses stärkere Angepaßtsein vieler DDR-Frauen, ihre eigenartige Autonomie, die vor allem ihre Tüchtigkeit im Alltag betrifft, die aber Männer nicht herausfordert, sondern umsorgt - oft als Biederkeit beschrieben - ist die größte Schwierigkeit von engagierten Frauen beider Deutschländer miteinander.
Dieser Unterschied ist nicht nur in der fehlenden Frauenbewegung der DDR begründet, sondern auch in den unterschiedlichen Lebensläufen von Frauen: Nach wie vor haben die meisten Frauen, auch die qualifizierten und akademischen Frauen in der DDR ihr Kind/ihre Kinder schon mit Anfang 20 - lange Orientierungsphasen, Single-Leben, Experimente mit Lebensformen hat es für Frauen in der DDR kaum und nicht als kulturell sichtbares Phänomen gegeben. Zwar klagen auch bei uns alte Kämpferinnen oft über die Gedankenlosigkeit der jüngeren Frauen, über Mottos wie das von 'Cosmopolitan‘ als Trend der neunziger Jahre: „Genug gekämpft, jetzt wird geliebt.“ Doch die neue Romantik, die neue Sehnsucht nach Zweisamkeit spielt sich in der BRD aber auf der Grundlage veränderter Optionen ab.
Die Frage der Geschlechterkultur löst unter den deutschen Schwestern Ängste und Ressentiments aus, ein Konflikt, aus dem zunächst wohl Männer gestärkt hervorgehen werden. Politische Kultur
Das Dilemma ist noch größer, wenn wir die neue politische Kultur eines Gesamtdeutschland betrachten: Es ist sicher nicht auf Dauer tragfähig, die Zweistaatlichkeit aus der Schuld der Deutschen am Zweiten Weltkrieg und aus Auschwitz abzuleiten. Doch das Problem stellt sich auch anders: Je größer und zentraler politische Strukturen, ein Staat, je höher die Mobilitätsanforderungen für die Teilhabe, desto schwieriger wird weibliche Präsenz. Ein größeres Deutschland mit einer vorläufig noch sehr patriarchalen DDR erschwert Frauenpartizipation auf höchster Ebene. Und was noch wichtiger ist: Frauen aller Lager orientieren sich politisch und psychologisch in weit geringerem Maße an der Staats- und Territorialpolitik, der internationalen Machtpolitik. Ein großes Deutschland wird - wir sehen es schon - die Lieblingsfragen von alten und neuen Reichsgrenzen, internationaler Diplomatie in das Zentrum der politischen Debatte stellen.
Von dieser Politikstruktur sind Frauen weiter entfremdet als von der Gestaltung des politischen Lebensalltags kleiner Länder. Für die allgemeine geistige Hygiene und für die Partizipation von Frauen sind kleinere Nationen, die ihre Demokratie vertiefen, ihren Wohlstand ordnen, eine bessere Grundlage als große Staaten. Letztere produzieren stets einen Machtüberschuß, der gezähmt sein will. Das bundesdeutsche Männerwunder
Die westdeutsche Balance von Reichtum und außenpolitischer Ohnmacht war insbesondere den Männern gut bekommen: Im steten Konflikt mit den Frauen über Sinn und Zweck des Lebens war eigentlich ein Nachkriegsmännerwunder gereift. Die Linke, nur mit dem faschistischen Syndrom befaßt, weigerte sich stets, zur Kenntnis zu nehmen, daß dieses Land seit 1968, wie internationale Studien zeigten, einen verhältnismäßig wenig arbeitsorientierten, weniger karrierebesoffenen, stärker familienfreundlichen und erstmals auch relativ toleranten, relativ wenig ausländerfeindlichen Mann produziert hatte. Parteiensystem oder
das Elend der Quotierung
Jetzt, wo sich nationale Stärke mit dem Reichtum paart, kann dies leicht wieder umschlagen - ein Nationalcharakter hängt auch von den äußeren Umständen ab. Da braucht es gar keine Überfälle auf Polen, nur ein neues Gefühl des „wir lassen unsere Muskeln spielen“, „denen zeigen wir es“, um die Atmosphäre zu vergiften und um den gezähmten Mann, neu verkuppelt mit seinem autoritären Ostbruder, wieder zu einem viel unsympathischeren Gesellen zu machen. Wir erleben gerade diese mächtige Transformation - und unsere jüngere Generation, auch viele junge Männer, fühlen sich zutiefst verraten. Vor der Vereinigungsdebatte war die Krise des Parteiensystems, von dem sich gerade Frauen entfremdet fühlten, in aller Munde. In der DDR sind, in einem allerdings nicht demokratisch gewählten Parlament, weit höhere Anteile von Frauen im Parlament vertreten als in der Bundesrepublik. Dort wird sich voraussichtlich in den Wahlen der Frauenanteil zum ersten Mal stark verringern - da Frauen dort die neuen und heftigen Wettbewerbsbedingungen des Wahlkampfs und der Parteienkultur nicht ertragen uhd deshalb ausscheiden. Die Frage eines Wahl- und Parteiensystems, das offensiv quotiert, aber vielleicht auch andere Hebel findet, stellt sich weiter, unabhängig davon, nach welchem Modus die Vereinigung stattfindet.
Denn: die Quote - nie wurde das deutlicher als seit dem 9. November - allein genügt nicht. Nie waren Frauen weniger sichtbar in unserer Politik als gegenwärtig, trotz oder wegen ihres neu quotierten Daseins, ihrer Gleichstellungsstellen, ihrer Förderpläne. Ohne eine neue Perspektive wird der politische Prozeß für Frauen beiderseits weiterhin stagnieren. Es ist paradox, die Sturheit der Männer in den Parteien zu beklagen (sie ist vorhanden), ohne den Selbstrückzug von Frauen aus der dortigen und hiesigen Parteienpolitik zu thematisieren. Sozialistische Errungenschaften
Kommen wir nun zu den sozialen Errungenschaften für Frauen in der DDR. Hier steht das wahre Debakel ins Haus - aber anders, als oft beschrieben. In der DDR gab es mehrere Säulen von Frauen- und Familienpolitik, die heute gefährdet und umstritten sind.
Zum einen die sozialpolitischen Leistungen für Mütter - vor allem das bezahlte Babyjahr, die Freistellungen im Betrieb bei Krankheit des Kindes und die Wohnungsgarantie für Alleinerziehende. (Reich war in der DDR niemand, deshalb war die relative Armut besonders von alleinerziehenden Frauen weniger bedrückend.) Frauen in der DDR waren überbelastet und ausgelaugt, aber sie hatten keinen Identitätskonflikt „Kinder oder Beruf“ auszustehen.
Doch diese sozialpolitischen Leistungen, vor allem das Babyjahr und die Freistellungen, waren in den letzten Jahren von den politisch engagierten hochqualifizierten Frauen zunehmend kritisch beäugt worden. Sie fürchteten, die Emanzipation sei gefährdet, Frauen könnten nun keine Karriere mehr machen, die Entwicklung sei ihnen um ein Linsengericht abgekauft worden. Diese Angst war wohl faktisch unbegründet oder nur sehr relativ zu sehen: Frauen in der DDR waren schließlich gerade in Spitzenpositionen fast so wenig vertreten wie in der Bundesrepublik, ihre Bezahlung war niedriger, das ganze Spektrum der Diskriminierung voll ausgebaut.
Jedoch viele der in der DDR nach klassischem Emanzipationsbild der Gleichheit von Frau und Mann erzogenen Frauen fürchteten, die neue Familienorientiertheit werde Frauen auch um ihre relativ geringe gesellschaftliche Sichtbarkeit bringen. Dazu kam, daß die älteren Frauen mit ihrer Aussicht auf schlechte Renten und mit einer gnadenlos harten Biographie es den jüngeren mißgönnten, daß der Staat sie so „verwöhnte“.
Weibliches Lebensmodell verteidigen
So wurde also von kritischer Frauenseite die geburtenorientierte, von den Frauen gern beanspruchte, von oben verordnete Familienpolitik sehr ablehnend beurteilt von denselben Frauen, die jetzt den Abbau dieser Maßnahmen fürchten und sie am Runden Tisch oder im Unabhängigen Frauenverband verteidigen.
Frauen hier wie dort sollten das weibliche Lebensmodell selbstbewußt verteidigen, die soziale Sicherung von familienorientierter Teilzeitarbeit, die Freistellungen - in der DDR wie hier heiß begehrt - aktiv vertreten (und natürlich für die interessierten Männer diese Leistungen auch zugänglich machen). Sie sollten im übrigen auch daran gehen, Frauen zur Platznahme im neuen Mittelstand, bei Existenzgründungen, Dienstleistungen zu ermuntern. Die Sichtbarkeit von Frauen in der Gesellschaft ist im wesentlichen ein Ergebnis resoluter Frauenkultur, nicht allein von falschen oder richtigen Sozialleistungen. Und die Sichtbarkeit von Frauen hängt davon ab, daß sie sich Inhalte erkämpfen, nicht mit Sozialgaben verwaltet werden.
Doch herrscht eine große Angst, mit neuen, differenzierten Inhalten laut nach vorne zu treten - eine Angst, die sich rächen wird. Der Erhaltungswille von DDR-Frauen richtet sich entschlossener und positiver auf die andere Säule der Frauenpolitik, Kinderkrippen und Kindergärten - wiederum eine zweischneidige Angelegenheit. Viele Mütter, gerade die politisch wacheren, hatten in den letzten Jahren ihre Kinder nicht mehr kritiklos in die Einrichtungen gebracht, hatten die Kinder oft oder ganz daheimgehalten, sie früher abgeholt, die grausame Realität des 20-Gitterbetten -Szenarios, Zwangsmittagsschlafs durchbrochen.
Übervergesellschaftung - Überprivatisierung
In ganz Osteuropa und in der DDR herrscht eine Müdigkeit gegenüber der Vergesellschaftung, die jetzt die Türen öffnet für eine gnadenlose Privatisierung. Viele Frauen ziehen sich zunächst, wo es geht, auf ihre Familien zurück - überall werden die Babyjahre auf zwei bis drei Jahre pro Kind ausgedehnt; andere werden arbeitslos und bleiben dennoch ohne großen Protest daheim. Heute demonstrieren zwar viele für den Erhalt ihrer Krippen, dennoch besteht eine tiefe Verunsicherung und Reserve gegenüber diesen Lebensmodellen. Die gewerkschaftstreuen, institutionengläubigen DDR-Frauen und ihre Schwestern in der Bundesrepublik werden sich endlich mit Elterninitiativen, Mütterzentren, mit einem radikalen Subsidiaritätsprinzip, flexiblen Kindergärten anfreunden müssen, sollen sie nicht eine kalte Erosion vor allem des Krippensystems erleben, der Frauen letztlich auf Dauer keinen Widerstand entgegensetzen werden. In der DDR wird stattdessen von vielen der Politikfrauen gefordert, jetzt müsse das Bestehende erst einmal verteidigt werden, frau habe jetzt keine Zeit für Luxusfragen wie die Qualität. In der Bundesrepublik herrscht der Betreuungsnotstand noch wesentlich schlimmer als in der DDR. Viele hatten sich in letzter Zeit darauf eingelassen, Plätze um jeden Preis, ohne lange Diskussion über neue Formen der Kleinkindpädagogik, der Ganztagsschule zu fordern.
Frauen werden aber auch in der BRD keine geschlossene Front zugunsten des Ausbaus oder des Erhalts vor allem von Krippe und Hort entwickeln, wenn nicht die Fragen nach der Qualität, nach sinnvollen Lebensmodellen für Kinder und Eltern ganz oben stehen. Frauen sind aufgefordert, endlich neue Konzepte der Betreuung von Menschen in die Politik einzubringen, in denen Individuum, Familie und Gemeinschaft mindestens so wichtig sind wie die Gesellschaft. Staatliche Gelder müssen gleichberechtigt für Familien, Gruppenaktivitäten oder reguläre Institutionen zugänglich sein - und es muß klar werden, daß Beziehungsqualität auch das kostbarste aller Güter, nämlich Zeit, erfordert. Zeit, die gesellschaftlich bezahlt werden muß, damit Versorgende, egal, wo sie stehen, nicht ewig im Hintertreffen bleiben.
Die Überprivatisierung im Westen trifft heute mit der Übervergesellschaftung des Ostens zusammen - eine gute Phase für neue Ansätze. Doch neue Perspektiven sollten nicht der Verteidigung eines moribunden Status quo geopfert werden, weder hier noch in der DDR. Eine sanfte Zweistaatlichkeit in Freiheit für die DDR hätte einen organischeren Weg für Frauen in beiden Teilen eröffnet. Jetzt müssen wir uns eben auseinandersetzen.
Die Autorin ist Mitglied einer Forschungsgruppe am Deutschen Jugendinstitut in München, die sich insbesondere mit der Entwicklung der Familienpolitik in der DDR und Osteuropa beschäftigt.
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