Vorlauf: Gruselkabinett

■ Geisterfahrer - Eine politische Kolportage

(Geisterfahrer - Eine politische Kolportage, ZDF, 23.10 Uhr) Die Geisterbahn auf dem Jahrmarkt - Ort der Gaukelei und der Vortäuschung, aber auch Platz für phantastische Visionen und Illusionen. Die Metapher war immer schon etwas abgegriffen, aber im nachhinein hat sie sich als passend erwiesen. Denn wohin hat uns die Geisterbahnfahrt geführt, auf die uns die Medienwerkstatt Freiburg vor drei Jahren mitgenommen hat? Jedenfalls nicht zu einer Republik, in der die Utopie einer alternativen Politik als Machtfaktor zu einer wesentlichen Veränderung gesellschaftlicher Strukturen geführt hat. Daß der Film die Frage der Machtbeteiligung der Grünen auf dem Höhepunkt des Streits zwischen Fundis und Realos in so bissiger und ironischer Weise auf das Dilemma zwischen Mittel und Zweck in der Politik zurückführte, hat sich im zeitlichen Abstand ernüchternd bewahrheitet und ist deshalb auch heute noch unterhaltsam anzuschauen.

Der Schausteller und Impressario Moc Thyssen steuert den rumpelnden Geisterbahnwagen in ein Gruselkabinett der politischen Eitelkeiten. Mehr noch als die konventionellen Fernsehjournalisten, die die Grünen immer der Bedeutungslosigkeit überführen wollten und dabei zu sehr aufs Wort achteten, haben die Freiburger Videomacher das Medium dazu genutzt, dem Bild nicht nur kolportierendes, sondern argumentierendes Gewicht zu geben. Und sie haben genauer hingesehen. Ist es nicht herrlich, wenn der versammelte Vorstand der Öko-Bank in schöner amtsdeutscher Manier die „Satzung in der so vorliegenden Form von den hier anwesenden Gründungsmitgliedern“ annimmt und das ganze Ritual tumber Vereinsmeierei kreuzbrav wiederholt, weil ein Finger nicht zu sehen war? Das Liebäugeln mit der Macht und das Wortgeklingel, mit dem sich Menschen wie Dachlatten -Börner und Turnschuh-Joschka dann doch auf derselben politischen Bühne gewegen, hat die Freiburger Medienwerkstatt in verschmitzten Bildcollagen zu einer Groteske auf die gescheiterte Politik der kleinen Schritte montiert. Die Gerippe klappern um die Wette. Wer wen das Gruseln lehren kann, scheint nur am Anfang die große Frage. Zum Schluß bleibt Moc Thyssen nur noch mit Peter Handkes Kaspar zu sagen: „Daß etwas getan werden muß, und zwar sofort, das wissen wir schon. Daß es aber noch zu früh ist, schon etwas zu tun, und schon zu spät ist, noch etwas zu tun, das wissen wir schon.“

Am Ende aller Utopie bleibt also die Einsicht, daß es die Katastrophen sind, die die Welt bedeuten. Daß es zwischendurch etwas zu lachen gibt, dafür hat dieser Film gesorgt, und dazu reicht es auch noch heute, wo die Utopien von der „Realpolitik“ schon überrollt werden, bevor sie überhaupt ausformuliert sind.

Christof Boy