: Alle Möglichkeiten sind in Israel jetzt offen
Führungsgremium der Arbeiterpartei steht vor Entscheidung über Koalitionsaufkündigung / Kleine Koalition, Minderheitsregierung oder Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen / Tenor der israelischen Presse lautet: „Nur ein Wunder kann das Regierungsbündnis noch retten“ ■ Aus Tel Aviv von Amos Wollin
Am Montag abend wird sich das Führungsgremium der Arbeiterpartei treffen, um darüber zu entscheiden, ob dem Likud nun die gemeinsame Koalition endgültig aufgekündigt werden soll. Vieles wird dabei von der noch nicht endgültigen Stellungnahme des Verteidigungsministers Rabin abhängen. Rabin war bisher Anhänger der engen Zusammenarbeit mit Schamirs Likud, weil er seinem innerparteilichen Erzrivalen Peres das Amt des Ministerpräsidenten, das ihm bei Zustandekommen einer kleinen Koalition sehr sicher zufallen würde, nicht gönnt. Nach außen vertritt Rabin freilich die amerikanische Position, nach der nur eine breite Regierungskoalition Gespräche mit den Palästinensern in Kairo führen sollte.
Doch im Moment ist auch Rabin schlecht auf die Likudführung zu sprechen, weil sie ihn von ihrer Ablehnung des geplanten Kairoer Treffens nicht rechtzeitig informiert hat. Sollte sich Rabin also tatsächlich von Schamir „betrogen“ fühlen, so werden er und seine Fraktion innerhalb der Arbeiterpartei den von Peres geführten Gegnern einer Koalition mit dem Likud keinen ernsthaften Widerstand leisten. Die Chancen, daß sich das Führungsgremium der Arbeiterpartei für ein Ende des Regierungsbündnisses ausspricht, sind demnach sehr hoch. Tritt dieser Fall ein, dann wird es am Donnerstag ein Mißtrauensvotum in der Knesset geben. Ziel dieses Votums wird die Umwandlung der gegenwärtigen Koalition in eine Übergangsregierung sein, die so lange im Amt bleiben wird, bis ein vom Präsidenten beauftragtes Parlamentsmitglied eine neue Regierung gebildet hat. Nach allen bisherigen Erfahrungen nimmt ein solcher Prozeß etwa zwei Monate in Anspruch, in denen dann alle außenpolitischen Aktivitäten auf das Minimum reduziert sein werden.
Im Augenblick hat wohl Peres die besten Karten, was die Bildung einer kleinen Koalition betrifft. Besonderes Gewicht kommt dabei den kleinen religiösen Parteien zu. Man nimmt an, daß wenigstens ein Teil des religiösen Lagers dazu bereit ist, ein Bündnis mit der Arbeiterpartei einzugehen. Auch eine Beteiligung der zionistischen Oppositionsparteien, die wie Mapam, Raz und Schinuj politisch links von der Arbeiterpartei beheimatet sind, gilt als wahrscheinlich. Die nicht-zionistische Linke würde voraussichtlich eine solche Koalition unterstützen, gilt aber selbst nicht als koalitionsfähig.
Wie stabil indes eine kleine Koalition angesichts der starken Rechtsopposition wäre, muß dahingestellt bleiben. Weitgehend würde dies wohl vom außenpolitischen Erfolg abhängen, den diese Regierung vorzuweisen hätte. Möglicherweise kann Peres jedoch mit Unterstützung der vom Likud abgespaltenen „liberalen“ Fraktion rechnen oder gar mit Überläufern aus dem angeschlagenen Likudlager.
Auch über Neuwahlen in nächster Zukunft, jedoch nicht vor August oder September, wird geredet. Viele der Knessetmitglieder, die ohnehin erst im November 1988 gewählt wurden, mögen sich dafür aber nicht begeistern. Eine weitere Option wäre eine „Minoritätsregierung“ des Likud. Schamir bliebe in diesem Fall zwar Ministerpräsident ohne Arbeiterpartei - aber auch ohne Zukunft. Beinahe einhellig hat die israelische Presse die sture Haltung des Likud verurteilt. „Nur ein Wunder“, so das Massenblatt 'Chadaschot‘, „kann die Regierung noch retten.“
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