: Der Spion, der aus der Maske kam
■ „Hapgood“, eine deutsche Erstaufführung
Die Auflösung der Militärblöcke muß besonders die Geheimagenten in tiefe Identitätskrisen stürzen. Zu Tausenden werden jetzt Spitzel und Spione umgeschult. Und während die Öffentlichkeit darüber rätselt, ob Wolfgang Schnur nun ein Stasi-Agent war, macht der Schriftsteller Markus Wolf noch einen letzten Ausflug in sein altes Metier, um in Moskau die Übergabe der Außenabteilung des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes an den KGB über die Bühne zu bringen.
Aus dem Mutterland aller Spione, dem britischen Empire, kommt die Spionagekomödie Hapgood, die in der vergangenen Woche am Berliner Schloßpark-Theater ihre deutsche Erstaufführung erlebte. Als Tom Stoppards jüngstes Stück 1988 in London uraufgeführt wurde, ahnte noch niemand, daß sein Thema bald schon ein Anachronismus sein würde. Nur vielleicht das: was erst einmal auf der Bühne angekommen ist, dessen Tage in der Wirklichkeit sind schon gezählt.
Hapgood, Vorname Elisabeth, ist eine britische Top-Agentin, die durch ein mißglücktes Manöver in den Verdacht geraten ist, eine undichte Stelle im dicht geknüpften Netz der westlichen Geheimdienste zu sein. Derweil nun Frau Hapgood ihrem verständlichen Interesse nachgeht, den wirklich Schuldigen zu finden, dürfen wir noch einmal einen Blick auf die Zeiten werfen, als die Spione noch nicht von Massenarbeitslosigkeit bedroht waren. Der Verräter ist schließlich Ridley, ein Untergebener der Hapgood. Und es stellt sich heraus, daß Ridley nicht nur ein Doppelagent, sondern auch ein Zwilling ist. Überführt wird er natürlich von unserer Top-Agentin selbst, die wiederum ihre eigene Zwillingsschwester (die sie in Wirklichkeit nicht hat) spielt, um Ridley zu täuschen. Dabei sieht sie sich allerdings dann so wenig ähnlich, daß der Herr auf dem Platz neben mir hektisch in seinem Programmhgeft zu blättern beginnt, um dort nach dem Namen dieser unverhofft aufgetauchten Darstellerin zu fahnden.
Stoppards Geschichte ist simpel und nicht besonders spannend. Der englische Dramatiker versucht ihr aber nun die Weihen höherer Mathematik zu geben, indem er seinen russischen Physiker (und umgedrehten KGB-Agenten) Kerner mit wissenschaftlichen Litaneien auf das Publikum losläßt, die vermutlich nur Physiker verstehen. Ob das Aufklärung oder Einschüchterung sein soll, bleibt dahingestellt. Seine Doppelagenten, seine echten und falschen Zwillingspaare sind Stoppard außerdem Metaphern für Metaphysisches. Sollen gewichtige Fragen versinnbildlichen wie Wahrheit und Wahrnehmung, Liebe und Lüge. Wer ist wer? Und ist man überhauptDie Figuren sind auch durch private Geheimnisse miteinander verknüpft. Ridley liebt Hapgood, seit er einmal für einen Auftrag mit ihr ein Liebespaar mimte. Aber Hapgood hat, was niemand wissen darf, ein Kind mit Kerner. Und Kerner, der schon einmal gedrehte Spion, hat sich ein zweites Mal drehen lassen, um dieses Kind zu schützen. Zwölf kurze Szenen beleuchten nun Plot und Probleme. Eine Handvoll Menschen auf der Suche nach Gewißheit, um schließlich bei der Erkenntnis anzukommen, daß jede Gewißheit eben nur relativ sein kann. Viel Theater um ein bißchen Common Sense, der als Weltweisheit daherkommt.
Stoppards Agentenreigen hätte nun aber durchaus das Zeug für einen amüsanten Theaterabend gehabt - wenn seine Agenten Menschen hätten sein dürfen. Aber G.H. Seebach, der das Stück in Berlin inszenierte, hat die Figuren - von Astrid Kirsten mehr verkleidet als ausgestattet - dem Klischee und nicht dem Leben abgeschaut. Der schwarze CIA-Agent Wates (John Yamoah) muß sich in seinem Zweireiher wie eine Agentenkarikatur benehmen. Wolfgang Ransmayr spielt seinen Ridley mit dem Charme eines Vorstadtkriminellen, so daß nicht mal die Spur einer Spannung entstehen kann und man gleich weiß: nur er kann der Verräter sein. Blair (Jürgen Thormann), die graue Eminenz des britischen Geheimdienstes, hat sein Vorbild wohl in Spionagefilmen der siebziger Jahre. Freihelm Ptok, der den Kerner spielt, schüttelt immer wieder genialisch sein gelocktes Haupt: Man ist schließlich Wissenschaftler. Und Uta Hallant spielt eher eine Hausfrau auf Abwegen als eine Agentin vom Kaliber Elisabeth Hapgoods.
Agenten müssen gute Schauspieler sein, denn damit steht und fällt ihr Erfolg. Daß nun Schauspieler - zumindest auf der Bühne - auch gute Agenten abgeben, läßt sich daraus anscheinend zwingend nicht ableiten. Wenigstens das hat uns der Berliner Abend sinnfällig vorgeführt.
Esther Slevogt
Die nächsten Aufführungen: 22., 26. und 31.3.
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