: „Das ist eine Frage der Ehre“
■ Der Strafrichter Nelson Munos hofft auf Aufklärung der Verantwortung für die Erschießungen im Konzentrationslager Pisagua
taz: Besteht überhaupt Hoffnung, die Vorgänge in den Gefangenenlagern aufzuklären, wie es der neue Präsident Aylwin in seinem Wahlprogramm versprochen hat? Sind die Verantwortlichen noch festzustellen?
Munos: Die Akten der Prozesse, die ja angeblich vor den Exekutionen stattgefunden haben, müßten noch existieren. Normalerweise müßte man annehmen, daß ein Soldat durch seine Ausbildung und seinen Auftrag gehalten ist, systematisch vorzugehen. Er macht nichts Überflüssiges, aber das Notwendige macht er korrekt. Ein Artillerist verliert seine Kanone nicht im Eifer des Gefechts; und ein Militärrichter verliert keine Akten, wenn wir davon ausgehen, daß er stolz auf seinen Beruf ist.
Kann man davon ausgehen?
Das ist vor allem eine Frage der Ehre. Chile hatte immer eine große Liebe zu den Streitkräften, die sich in bestimmten Situationen auch sehr würdig verhalten haben. Aber es gibt einen kritischen Moment in der Geschichte Chiles, in dem dieser Charakter des Militärs verlorenging. Trotzdem: Die Hoffnung, daß die Akten einmal geöffnet werden - zum Nutzen des sozialen Friedens und des persönlichen Friedens der Angehörigen - diese Hoffnung dürfen wir nicht aufgeben.
Sie glauben an die Wiederherstellung des Rechts der Angehörigen?
Die Angehörigen fordern doch nicht viel. Was zum Beispiel vor dem Strafgericht in Pozo Almonte verlangt wurde, war nicht mehr als die Übergabe der Toten und eine definitive Auskunft, ob verschwundene Angehörige tot sind oder nicht. Im Fall von Juan Manriquez wurde die Leiche ja sogar von der Familie, von der Ehefrau und den Töchtern, identifiziert. Trotzdem verweigern die zuständigen Behörden bisher den Totenschein. Also gilt die Witwe offiziell weiterhin als verheiratet - verheiratet mit einem Mann, von dem man längst weiß, daß er tot ist.
Während des Wahlkampfes gab es ja eine Art stille Übereinkunft zwischen den Parteien, nicht in alten Wunden zu stochern, sondern in Chiles Zukunft zu blicken...
Ja, aber gesellschaftliche Versöhnung kommt nicht von alleine. Bevor man anfängt zu vergeben, muß doch erst mal festgestellt werden, was denn überhaupt zu vergeben ist. Wenn man nach Versöhnung sucht, dann doch aber nur auf der Grundlage von aufgeklärten Tatsachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen