: Produktives Chaos
■ „Improvisationen“ in der Buchtstraße
Die MusikerInnen hatten vorher gewettet, wieviele Leute wohl kommen würden, die skeptischen Schätzungen lagen bei 20 BesucherInnen, die optimistischeren bei 35. Und, was soll ich sagen, die Optimisten haben gewonnen - wie schön in diesen Zeiten. Die neue Reihe, von der Musikerinitiative (in der übrigens auch Musikerinnen organisiert sind) Bremen und Newtips in Kooperation durchgeführt, soll ein Forum für spontan improvisierte Musik bieten. Gemeinsam mit auswärtigen Gästen wollen Bremer MusikerInnen in wechselnden Besetzungen und unterschiedlichen Zusammenstellungen freie Improvisationen gestalten. Geplant ist auch eine Zusammenarbeit mit anderen Sparten, z.B. FilmemacherInnen.
Dienstagabend war als auswärtiger Gast der Bochumer Schlagzeuger Martin Blume gekommen. Der Abend war in drei Sets mit verschiedenen Besetzungen aufgeteilt. Den Auftakt machten Heiner Wörmann (g) und H.P.Graf (ts). Während Graf auf dem Tenor ein Wechselspiel von Melodie-Floskeln, überblasenen bis trötenden Ausbrüchen und rhythmischen Figuren inszenierte, überschüttete, unterlegte, konterkarierte Wörmann dieses mit den unterschiedlichsten Sounds seiner elektronisch und manuell präparierten Gitarre. Er hantierte mit Nagelbürste und Wäsche klammern an seinem Instrument und entlockte dem solcherart eigenwillige Klänge-Töne-Geräusche, keineswegs immer dissonant. Auch ohne daß sie ständig
Ideen voneinander aufgriffen, war das Auf-einander-hören im Zusammenspiel spürbar. Die Verfolgung der eigenen Linien endete nicht im Zusammenhanglosen, beide organisierten immer wieder Schnittpunkte.
Weniger ausgeprägt war dies im 2. Set, den Martin Blume und Reinhard Schiemann bestritten. Trotz dieses stärkeren Nebeneinander verbanden sich die Geräusche und Rhythmen, die die beiden in kraftvollen Trommelwirbeln produzierten, zu einer hö renswerten Klangcollage. Blume operierte u.a. mit einer ganzen Batterie von Plastikschüsseln und anderen Hauhaltsgeräten. Schiemann streute die unterschiedlichsten elektronischen Effekte ein.
Im letzten Set kam zu den vier genannten Musikern noch Brigitte Schulte-Hofkrüger (ss, bs). Nach einer verhaltenen melodischen Eingangsphase von Brigitte Schulte-Hofkrüger auf dem So pransax und Blume an den Drums entwickelte sich ein furioses Klang-Geräusch-Chaos, eine aufregende Kakophonie aus tausendundanderthalb Tönen, die, ob ihrer anarchischen Strukturlosigkeit (zumindest von mir) nicht zu beschreiben ist.
Nun ist Freejazz nicht jedermanns Sache und es soll auch einige Frauen geben, die ihn nicht mögen, aber wer offen auch für diese Art von Musik ist, kam am Dienstagabend auf ihre/seine Kosten. Ein gelungener Auftakt für einen vielversprechenden und unbedingt erhaltenswerten Ansatz im Bremer Konzertgeschehen. Montezuma Schmid
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