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„Kitsch mit Anlauf“

■ Lotti Huber packt im Packhaus aus

Ein altersloser Mensch - das sagt man im allgemeinen von Fadlingen, von grauen Mäusen, an denen das Leben spurenlos vorüberzieht. Aber ein Weib - Frau paßt da nicht - ein Weib wie Lotti Huber ist in ganz anderem Sinne alterslos: die kommt hereinge schritten als schwüle Diva, reißt ihre riesenhaften Augen auf, aus denen es siebzehnjährig funkelt, schwingt kurz die Hüfte mit dem durchtriebenen, stummen Lockruf des selbstgewissen Vamps, wird dann zur giftelnden alten Kuchenfresserin - und füllt über zwei pausenlose Stunden das Packhaus aus mit satter Komik, mit Selbstparodie und sacht gestreiftem Schmerz, was einem wohl nur gelingen kann, wenn

man fast acht Jahrzehnte lang dem Leben nicht ausgewichen ist.

Lotti Huber erzählt ihr Leben: nicht abgeklärt, nicht zeugnishaft - sie tummelt sich vital und selbstbewußt als Entertainerin der eigenen Vergangenheit noch mal in ihren Erinnerungen. Sie breitet Liebesgeschichten aus - als „Kitsch mit Anlauf“ -, singt mal ein bißchen, liest ihre Gedichte vor und kommentiert: „ein bißchen schwachsinnig, aber doch sehr informativ“. Sie inszeniert sich und ihr Leben als einen Etappenritt durch Hochs und Tiefs, sie weiß genau, wie man ein Publikum begeistert, wie man Leute zum Lachen bringt - aber sie ist eben in ihrer grandiosen Selbstbezogenheit vor der Gefahr

gefeit, sich würdelos an ein Publikum ranzuschmeißen. Sie genießt es, ihre bürger-schreckliche Exzentrik vorzuführen, aber ihr hellwacher Sinn für Ironie bewahrt sie davor, sich ernstlich wichtig zu nehmen.

Die Huber versprüht um sich herum Jahrzehnte gelebten Lebens - verlebt ist dieses Leben nicht. Es wird wohl bald solche erotisierten, in Trivialität und in Komik verliebten Weiber nicht mehr geben - da ist der verkniffene Feminismus vor.

Sybille Simon-Zülch

Weitere Vorstellungen noch heute und morgen, 20 Uhr, Theater im Schnoor

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