piwik no script img

„Ist ja schließlich eine DDR-Wahl“

■ Die Fernsehgesellschaften regieren am Tag vor der Wahl im Palast der Republik / Live-Schaltungen aus Kasernen der Nationalen Volksarmee, Kreuzberger Kneipen und vom Prenzlauer Berg / Hochrechnungen durch marodes DDR-Telefonnetz gefährdet?

Vom Wahlkampf direkt in die Kameraschlacht: Einen Tag vor den Wahlen in der DDR ist der Palast der Republik fest in den Händen vorwiegend westlicher Medien, die zum Wettlauf um die erste Hochrechnung, den ersten Prominenten, die erste Prognose rüsten.

Es habe in Vorbereitung der Wahlsendung ein „Vakuum der Entscheidungsbefugnisse“ gegeben, erklärte Helmut Hartung, Leiter der Wahlredaktion des in „Deutscher Fernsehfunk“ (DFF) umbenannten DDR-Fernsehens. Niemand fühlte sich für die Einrichtung von Wahlstudios zuständig. Die Wahlkommission sei völlig überlastet. Regierungssprecher Wolfgang Meyer habe gar erklärt, das sei schon deshalb nicht Aufgabe der Regierung, weil es die am 18. März gar nicht mehr gebe.

Mit rund 70 MitarbeiterInnen ist das ZDF im Palast der Republik vertreten, noch einmal so viele sollen aus anderen Städten der DDR berichten. Die ARD schickt ihren „Anchor Man“ Hanns Joachim Friedrichs ins Rennen um die Plätze in der ersten Reihe im Palast und ist außerdem in sämtlichen Parteizentralen vertreten. Per Live-Schaltung in eine NVA -Kaserne wird das geschätzte Publikum zudem über die Gemütslage der DDR-Soldaten bei der ersten Hochrechnung informiert. Mit selbiger rechnet der Leiter der ZDF -Wahlsendung, Helmut Schimanski, gegen 19 Uhr 15 vorausgesetzt, das marode DDR-Telefonnetz bricht nicht zusammen. Die ARD läßt sich von Infas aus Bad Godesberg mit Hochrechnungen versorgen, die dann freundlicherweise an die Kollegen vom DDR-Fernsehen weitergegeben werden. Wer allerdings auf das visuelle Medium und diverse Politikergesichter verzichten möchte, kann sich durch Radio 100 in Zusammenarbeit mit Radio DT 64 aktuell informieren lassen. Über den Äther wird live aus dem „Haus der Demokratie“, dem Sammelplatz der bisherigen DDR-Opposition, berichtet, Reportagen und Interviews kommen aus den Kneipen in Kreuzberg und vom Prenzlauer Berg.

Wer dagegen live im bekanntermaßen asbestverseuchten Palast der Republik dabeisein will, hat nur begrenzte Chancen. Insgesamt zwei Drittel der Gästekarten sollen DDR -BürgerInnen vorbehalten bleiben, das restliche Drittel sei für Politprominenz aus der Bundesrepublik. Zu der zählen laut Schimanski unter anderem Willy Brandt und Volker Rühe. Eine viel wichtigere Rolle bei den Interviews und Politikerrunden, so beteuert der ZDF-Mann, würden jedoch die Herren Böhme, de Maiziere und Gysi spielen - „schließlich ist das ja eine DDR-Wahl“. Ob am Sonntag abend auch ein Vertreter des Neuen Forums in der „Berliner Runde Politiker nach der Wahl“ mitspielen darf, hängt vom Wahlergebnis ab. Der Tisch reicht nur für sechs Parteivorsitzende. Neben dem üblichen Journalistenduo von ZDF und ARD darf dieses Mal noch ein Kollege vom DFF Fragen stellen - es ist ja schließlich eine DDR-Wahl.

Dirk Winkler/anb

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen