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Seveso ist überall - bald auch in Spanien?

Spanische Firma Inquinosa übernahm Maschinen des geschlossenen Werks Boehringer Hamburg zur Produktion von Lindan / Landesregierung von Aragon gestattet Probeläufe / Kritischer Bericht des TÜVs Rheinland über Dioxinproduktion nicht in Betracht gezogen  ■  Aus Madrid Antje Bauer

Zehn Jahre lang hatte die spanische Chemiefirma Inquinosa das hochgiftige Pestizid Lindan produziert und den Abfall, das giftige Pulver HCH, ungehindert auf städtischen Müllplätzen abgelagert. 1987 weisen Umweltschützer der beiden Ökogruppen Cea und Adepa der Provinz Aragon sowie der World Wildlife Fund (WWF) darauf hin, daß auf den Müllplätzen des Dörfchens Sabinanigo am Fuße der Pyrenäen 100.000 Tonnen HCH unter Hausmüll gemischt worden sind und den nahegelegenen Fluß Gallego vergiftet haben. Die Inquinosa erhält von der Landesregierung Aragon Auflagen für die provisorische Lagerung des Abfallstoffs HCH und wird aufgefordert, Pläne für eine Entsorgung bzw. Wiederaufbereitung des künftig anfallenden HCH vorzulegen. Auf der Suche nach Lösungen stößt die Inquinosa auf Boehringer Hamburg, das seine Lindan-Produktion im Sommer 1984 beenden mußte. Dort war bei der Wiederaufbereitung des Abfallstoffs HCH Dioxin angefallen, und Boehringer konnte das Entstehen des gefährlichen Seveso-Giftes bei diesem Verfahren nicht verhindern.

Inquinosa ficht das nicht an. Im Sommer 1988 kauft sie von Boehringer (angeblich zum Schrottpreis) einen Teil der stillgelegten Hamburger Wiederaufbereitungsanlage sowie die Technologie für das Verfahren. Ein Jahr vergeht, und Inquinosa ist nicht in der Lage, ein realisierbares Konzept für die Entsorgung des HCH vorzulegen; im Juni 1989 wird das Werk bis auf weiteres geschlossen. Die Landesregierung von Aragon hat unterdessen die Niederlassung Barcelona des TÜVs Rheinland mit einem Gutachten zu dem beantragten Wiederaufbereitungsverfahren beauftragt. Der Abschlußbericht des TÜVs vom 5.Juli 1989 kommt zu dem Schluß, daß die Firma Teile der Maschinen sowie das Verfahren von Boehringer Hamburg übernommen hat. Bei diesem Verfahren, heißt es im Bericht, falle laut Analysen von Boehringer eine geringe Menge des hochgiftigen Dioxins an. Bei einem Brand, so heißt es weiter, „muß darüber hinaus mit der Freisetzung großer Mengen an Dioxinen gerechnet werden. In dieser Hinsicht kann eine Umweltkatastrophe auf keinen Fall ausgeschlossen werden.“ Und: „Die organischen Endprodukte, die bei diesem Verfahren erzeugt werden, sind voraussichtlich mit Dibenzodioxinen und polychlorierten Dibenzofuranen verseucht.“

Doch vor einer Woche erteilte die Landesregierung von Aragon die Erlaubnis für einen Probelauf des Wiederaufbereitungsverfahrens. Falls dabei keine Dioxine auftauchten, könne die Inquinosa die Lindan-Produktion wieder aufnehmen. Gegenüber der taz erklärte der verantwortliche Generaldirektor für Industrie der Landesregierung, Jose Garcia Pastor, der TÜV Rheinland habe auf der Basis von ungenügendem Material begutachtet. International anerkannte Experten hätten ihm versichert, das Verfahren sei so weit perfektioniert, daß keine Dioxine mehr entstünden. Daß in dem Verfahren inzwischen Verbesserungen entwickelt worden sind, die das Anfallen von Dioxin verhindern, mochte der für den TÜV-Bericht verantwortliche Ingenieur L. Bassas nicht ausschließen. Er beklagt allerdings, daß dem TÜV kein Auftrag für eine weitergehende Untersuchung erteilt worden sei.

Sehr wahrscheinlich scheint eine Verbesserung des Verfahrens freilich nicht. Anregungen von anderen Firmen kann Inquinosa kaum bekommen haben. Denn in Europa wird Lindan, dessen Verkauf in der EG verboten ist, nur noch von dem französischen Chemieriesen Rhone-Poulenc produziert, dessen Anlagen nach Aussagen des Direktors für Industrie, Pastor, „Lichtjahre hinter denen von Inquinosa herhinken“. Im übrigen müßten sich die grundsätzlichen Veränderungen im Lauf der vergangenen neun Monate ergeben haben, denn andernfalls hätte die Inquinosa wohl kaum gezögert, für sie vorteilhaftes Material dem TÜV Rheinland zu präsentieren. Die Ökologen von Cea und Adepa bezweifeln zudem, daß die von der Inquinosa angeführte Veränderung überhaupt durchführbar ist.

Unabhängig vom Probelauf bleibt die Frage der Altlasten ungelöst. 100.000 Tonnen giftigen HCHs sind teilweise auf einem inzwischen stillgelegten Müllabladeplatz unter Hausmüll gemischt und mit Erde versetzt worden. „Wenn es regnet“, so Jesus Maestro von der Cea, „wird dort in der Erde das weiße HCH sichtbar.“

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