: Tote Hose
■ Ein früher Wahl-Streifzug durch die Nachbarstadt
Schon das Viertelfinale einer ordentlichen Weltmeisterschaft fegt die Straßen leerer: Fast sommerabendliches Treiben auf den Straßen, gut besuchte Cafes und halbvolle Bierkneipen kennzeichneten gestern die Situation bei Schluß der Ostberliner Wahllokale in West-Berlin. Im Schwarzem Cafe, einst eine linke, kollektive Hochburg krabbeln Kleinkinder um die Tische, deren Mamas und Papas müde in die Milchcafeschalen starren. PDS? Kohl? Grüne? - Nein, es geht nur um die Beziehung.
Nebenan in der Paris Bar stehen noch die Stühle auf den Tischen. Potsdamer Straße, das KOB: drinnen einsam die Bedienung, draußen an den voll besetzten Tischen knutscht man/frau hingebungsvoll. Totenstill ist's im Mehringhof.Der freakige Taxifahrer auf der Fahrt hinein nach SO36 dreht genervt die Wahlmoderatorin aus seinem Radio, sucht Musik und regt sich über Sonntagsfahrer auf. Im Madonna hat man trotz der gut mit (West-)Politplakaten beklebten Wand keine Glotze stehen und kümmert sich bei lautem Sound intensiv ums eigene Bierchen. Weiter zum völlig friedlichen Heinrichplatz, wo sonst schon die Kunde kleinster oder weitestentfernter Nachrichten für brennende Bauwagen sorgte. Ein paar ausländische Reporter am Checkpoint Charlie suchen O-Töne und finden nur ebenfalls ausländische Schulklassen.
Wenn überhaupt, haben die Westberliner die Wahl im Immer -Noch-Nachbarland auf dem heimischen Sofa verfolgt, und wenn sie dabei überhaupt ein Schock ereilt hat - dann folgte dem der tröstende Kurze erst viel später in der Nacht. Vielleicht bei der einzigen größeren Szeneveranstaltung des Blockschocks in der Alten TU-Mensa, die erst um 20 Uhr ihre Tore überhaupt öffnete.
tom
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