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Stunden, die nicht wiederkommen, oder ein Bayer in Sachsen

■ Über einmalige Erlebnisse Kohls, die Geschichte als galoppierendes Pferd und die wohltuende Nüchternheit der Wahllokale / Bericht aus dem Dresdner Stollen (3.Folge)

Nein, Dresden sah ihn nicht mehr. Diese „Stunden, die nicht wiederkommen: Der Wahlkämpfer Helmut Kohl“ (Schlagzeile der DDR-'SZ‘), hier verstrichen sie ungezählt. Dabei sollte der Kanzler die Vereinigung der beiden deutschen Staaten schon aus Eigeninteresse besser nicht so sehr beschleunigen, denn erfolgreichere Auslandsaufenthalte wird er nie mehr erleben: Alle hören ihm zu, fast alle lieben ihn, er versteht jedes Wort und spricht die Landessprache fließend. Wenn Deutschland einig Vaterland, dies alles sein vorbei.

„Die Geschichte, das galoppierende Pferd“ (Christoph Hein im DDR-Fernsehen) ist ein durchgegangener Kaltblüter mit einem apokalyptischen Reiter, gewichtig im blauen Herrenmantel und die historische Stunde beschwörend. Er hat einen bayrischen Michelschmied namens Waigel nach Dresden geschickt, dem Pferd die Hufe zu beschlagen. Und der gab, ohne es zu wollen, einem toten Franzmann recht. Er hatte eine Rede aus der Zeit des kalten Krieges aus der Schublade geholt und hielt diese schäumend über ein Meer von nickenden, geschwenkten Fahnen hinweg: Geschichte, so Napoleon, ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat.

Die Bayern in Sachsen: ein apartes Kapitel der Völkerverständigung. Während Waigel geiferte, standen die Menschen auf demselben Platz um Karten für die Semper-Oper an, und drin saßen bald ebensoviele, um der Hochzeit des Figaro, dem listigen Aufbruch des Bürgertums, zu lauschen, wie da draußen standen.

Der Tiefpunkt der Demokratie: Wenn ein Redner sich dümmer stellt, als er ist, um für ein Publikum zu sprechen, das er für dümmer hält, als es ist. In dieser zerstörten Stadt, an deren prächtige Zeiten nur mehr die blassen, düsteren Ansichten Canalettos im Albertinum erinnern, überwiegt die Propaganda der konservativen „Allianz für Deutschland“, und die Gekränkten, die Vernachlässigten, die Fahnenschwenker scheinen in der Mehrheit zu sein.

Und doch gibt es viele, die unbeschwerte Nüchternheit der Wahllokale zu schätzen wissen, in denen die ersten nicht mehr mit Blumensträußen begrüßt werden und keine Kapelle mehr aufspielt. Der BRD ist es gut gelungen, ein übersteigertes Selbstwertgefühl zu demonstrieren, die Hiesigen fühlen sich machtlos und abhängig. „Leben heißt Strümpfe stricken aus der Mitmenschen Absicht“ (Pessoa).

Elke Schmitter.

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