piwik no script img

Bürger fragen FixerInnen ...oder lieber nicht

■ Diskussion im Gemeindehaus Gröpelingen um eine (nicht) existente Suchtöffentlichkeit / Aktionswoche Lust-Frust-Sucht im Bremer Westen

In Grabengefechten verlaufen wäre wohl die Diskussion, wenn nicht Warnke, 32, davon 15 Jahre mit und die letzten zwei ohne Drogen, auf dem Podium gesessen hätte. Und der durch Nachdenklichkeit auffallende Van der Upwich, Bremens neuer Drogenbeauftragter, verstärkt durch zwei Frauen im Publikum, die nach Gefühlen fragten, bzw. danach, warum nach Gefühlen nicht gefragt wird. Das Wort LUST auf giftgelbem Plakat ist hellgrau, FRUST darunter ist schon kräftiger, SUCHT ist dann fett

schwarz. Darunter steht „im Bremer Westen“. Für ein paar Stunden ließ die Veranstaltung Donnerstag abend im blankgebohnerten Gemeindesaal Behörde, Kripo, Drogenkranke und andere Bürger einander zuhören und ein Bild entstehen von einer Sucht-Öffentlichkeit, die existiert.

Voraussetzung für die Aktionswoche „Lust Frust Sucht im Bremer Westen“ war die Spendierfreude des Senats angesichts der offenen Heroin-Meile, die sich seit einem 3/4 Jahr in Gröpelingen etabliert. Ohne die „Bre

mer Hilfe“, Betreiberin der Beratungsstelle in der Schmidtstraße, des Fixerinnen-Busses im Steintor und mehrerer fester Häuser für Exuser-WG's, wäre der Zusammenschluß vieler Kräfte von Angehörigen und Betroffenen, von Kirchenleuten und Jugendhelfern nicht ermöglicht worden.

„Jede Anschafferin

umgibt eine Glasglocke.“

Nach dem Muster „Wir forden, daß ihr für Gröpelingen dies und das finanziert“ und „wir können ja nicht, außerdem habt ihr ja dies

und das abgelehnt“ wäre es weitergegangen zwischen BürgerInnen und dem Herrn Leppin vom Amt für Soziale Dienste. Nur unterbrochen von Isolde Jürg, Drogeneltern -Kreislerin, die die Schuld in der Erziehung suchte und fand und Haase, Bremer Drogenkripo-Stratege, der unsere Gesellschaft glaubhaft im ersten Drittel der steil ansteigenden Drogenkurve lokalisierte, hätte das Pingpong seinen Fortgang genommen.

Ex-Junkie Warnke brachte dann Gefühle in die Talkshow, die eigentlich alle von irgendwoher kannten: „Mir hat von Anfang an was gefehlt. Ich wurde nur beachtet, wenn ich Mist baute. Das, was ich mein Leben lang vermißt hatte, das verschwand erst recht hinter der Reaktion der Gesellschaft auf meine Sucht: Ich wurde noch weniger bemerkt, ich wurde da erst richtig ignoriert, ich wurde in den Knast gepackt. Während meiner Abhängigkeit hatte ich das Gefühl, nicht das Recht zu haben, überhaupt zu existieren.“ Mir fallen die Bilder ein von meinem täglichen Nachhauseweg. Jede Anschafferin im Viertel umgibt eine Glasglocke, die sich hebt für den Warentausch. Tabak, Freierkohle, Süßigkeiten. Außer dem Ziegenmarktkunden traut sich keine/r, ein Wort an sie zu richten. Die Kälte der Normalen steht zwischen den Worten der Entzugies, die was sagen. Die Schwester, die mit ihm, dem Abhängigen in der Konditorei bestellt, darf sich ans

Tischchen setzen, er könne ja draußen warten. „Das wollen wir nich hier.“ Warnke trifft ins Schwarze der Sucht -Desintegration, Ausschluß, Schweigen. Als eine Kommission das therapeutische Projekt besichtigen sollte, hieß es: „Bitte, wirkt doch etwas motiviert.“ Warnke: „Wir müssen Euch beweisen, daß wir so sein wollen wie Ihr, dann tut Ihr was, aber nur vielleicht. Ich habe eine Bettler-Funktion, ach bitte gebt mir doch.“

„Die Kälte der Normalen ...“

„Das Drogenärgernis kommt ja von außen nach Gröpelingen rein!“ deklamiert einer. Sind Drogen Import-Artikel? Van der Upwich weist darauf hin, daß die Suchtstruktur unserer Gesellschaft da ist, bevor die Droge zum/zur einzelnen kommt, ob in Gestalt von Flaschen, Pulver oder Apothekenpäckchen. Er benennt diese Struktur: ein Loch in der Seele. „Mit fünf sechs Jahren hat der Mensch eine bestimmte Sicht vom Leben. Ist Leben das, was ich gestalten, oder das was ich kaufen kann. Manche Kinder sehen vier Stunden fern. Was das dann ist, ob zehn Stück Kuchen bei Karstadt oder Heroin, das hängt dann mehr vom Zufall ab. Ich brauche nichts zu tun, es kommt rein, es passiert was.“

“...steht zwischen den Worten der Entzugies.“

„Früher waren die Drogies Studenten, Gesellschaftsveränderer, heute sind es Chancenlose, die so

zial-schwach genannt werden.“ Dagegen will Van Upwich u.a. „mehr Situationen schaffen, die die Wahrscheinlichkeit, daß junge Leute drogenabhängig werden, abnimmt“. Er plädiert für Kommunikation. Er vermißt Ehrlichkeit bei den normalen Passanten, die nicht offen sagen „Das nervt mich“ oder „Ich kann das nicht mitansehen“. Die Abgestumpftheit, die Coolness müßte nach seiner Meinung hinterfragt werden. Es müßte ein Stück Solidarität entstehen in einem Stadtteil.

„Das hier ist größtenteils Gelaber“, so ein anderer User oder Exuser, „es wird aber nichts getan. Kohle wird nirgendwo reingesteckt. Was wir brauchen, sind Anlaufstellen, die Tag und Nacht offen sind, Wohnungen mit Betreuern.“ Die Befürchtung von seiten der „Normalen“ wird wieder laut, von anderleuts Problemen überschwemmt zu werden. Aussiedler, Ausländer, Asylanten, Aussätzige? „Die Urbevölkerung kann das nicht mehr verkraften.“ Das blökt einer in breitestem Bremisch, dessen Frau sich die ganze Zeit von ihrem Yorkshire das Gesicht ablecken läßt. Der von der Kripo spitzt das Problem zu: „Nach Bremen streben viele Fixer.“ Denn in den meisten Städten ist eine Entgiftungsstation Zukunftsmusik wie die in Sebaldsbrück für 15 Personen-mit Wartezeit bis zu einem Jahr. Bremen ist besser für Fixer, hier läßt sich's besser leben - und sterben.

Cornelia Gürtler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen