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Keramikrutschen

Die Skispringer starten am Holmenkollen einen kleinen Streikversuch und jammern: Mehr Attraktivität, mehr Geld!  ■  P R E S S - S C H L A G

Klar doch, irgendwann hat jeder einmal die Schnauze voll. Fehlt dann nur noch der günstige Augenblick, den Unmut auch raus zu lassen. Kann sein, daß es im Affekt geschieht, unkontrolliert und heftig; kann aber auch sein, daß die Situation günstig erscheint, weil die besonderen Umstände ein Kraftprobe erlauben.

Bei den Skispringern war es am Sonntag so weit. Alles paßte zusammen: Da ist diese geweihte Stätte des nordischen Skisports, der Holmenkollen, vergleichbar vielleicht mit Wimbledon und dem Stadion Maracana; da sind 60.000 norwegische Zuschauer vom nahegelegenen Oslo und anderen Orten herausgefahren, doch sicher nicht, um sich vom ausbleibenden Winter um eine der traditionsreichsten Veranstaltungen gebracht zu sehen, womöglich so, wie die Schweden schon ihre Wasa-Lauf haben absagen müssen; und da ist seine Hoheit König Olav, Skinarr schon immer, den ja schließlich keiner wird enttäuschen wollen.

Also haben die Springer ein bißchen die Muskeln spielen lassen. Nein, ließen sie die Veranstalter wissen, mit ihnen sei heute nicht zu rechnen, über die Bakken gingen sie diesmal nicht. Weil die Organisatoren mangels Schnee und angenehmer Frühlingstemperaturen wegen die Anlaufspur einfach mit Keramik ausgelegt hatten. Trainer und Springer stellten dann ganz demokratisch zur Wahl: Porzellan, Ja oder Nein?, und mit 11:6 fiel das Votum eindeutig zu ungunsten der künstlichen Starthilfe aus.

Muß ja den Internationalen Skiverband (FIS) nicht unbedingt interessieren, wenn da ein paar Querköpfe glauben bestimmen zu können, was gemacht wird. Weshalb der technische Delegierte Wolfgang Happle (Meinerzhagen) kundtat, um zu wissen: „Die können beschließen, was sie wollen, hier geschieht, was die Jury festlegt.“ Nun wäre es sicher falsch, so zu tun, als handle es sich hier um ein Lehrstück in Sachen gelebter Demokratie im organisierten Sport. Daß die Springer derzeit etwas ungehalten reagieren, hat eigentlich etwas mit Boris Becker zu tun.

Weil der einfach zu viel Geld macht. Schlägt da - plop, plop, plop - ein paar Bälle hin und her, läßt sich vor der Hafenstaße fotografieren, und schon haben die Bankbeamten in Monaco und Luxemburg wieder reichlich zu buchen. Und der Springer ist der Depp. Steht oben auf einer Schanze, die zu besteigen ein Normalmensch schon all seine Traute zusammennehmen muß, fährt runter mit 90 Sachen, riskiert sekundenlang den sauberen Genickbruch, landet mit wer-weiß -wievielen Tonnen Andruck am kritischen Punkt und soll sich dann mit einem kräftitgen Schulterklopfen begnügen: Gut gemacht, Junge.

Nix da. Wer sind wir denn! Also haben besten Brettlflieger wie Felder, Opaas, Ulaga und Weissflog am Holmenkollen einen offenen Brief an die FIS gerichtet mit der einfachen Botschaft: „Alle verdienen - nur wir Skispringer nicht.“ Und weil sich das ändern soll, gleich den praktischen Vorschlag angefügt: „Mehr Popularität im Springsport.“ Vermarktung wie im Tennis, das schwebt ihnen vor, ein bißchen bescheidener vielleicht, aber Prämien nicht nur für die ersten Drei beim Weltcup und auch Sachpreise, Walkmänner, Autoreifen, wer weiß?

Deshalb soll es einen Grand-Prix geben wie in der Formel 1 und drei Wertungssprünge ohne Haltungsnoten, und beim letzten gehen nur noch die besten 25 über die Schanze. Das muß doch das Fernsehen und die Sponsoren einfach interessieren! Nur die FIS nicht. Die hat „den Brief und die Vorschläge aufmerksam zur Kenntnis genommen“ und erst mal zur Seite gelegt.

Gesprungen sind sie dann doch, mit dem faulen Kompromiß, das Ganze nicht als Weltcup zu werten und den von den Aktiven gewünschten Modus schon mal zu testen. Wobei Jens Weissflog gewann und Dieter Thoma nach einem Versuch schon keine Lust mehr hatte aufs Keramikrutschen (das letztlich dieselben Weiten gestattet).

Landen immerhin durften alle auf echtem Schnee, aber ist das ein Trost, wenn man weiß, daß Boris Becker in Key Biscane schon wieder Dollars scheffelt?

Herr Thömmes

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