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Litauen antwortet Gorbatschow

■ Delegation brachte Schreiben des Obersten Sowjets der baltischen Republik nach Moskau / Berufung auf KSZE-Schlußakte / Indes demonstrieren Zehntausende in Wilna gegen Sezession

Moskau (ap) - Eine von Vizepremier Algirdas Brazauskas geführte litauische Delegation hat sich am Montag zu Gesprächen mit dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow nach Moskau begeben. Der Oberste Sowjet Litauens hat die Delegation ermächtigt, auf das Telegramm zu antworten, in dem Gorbatschow bis Montag um Antwort auf die Frage ersucht hatte, wie Litauen dem Umstand Rechnung zu tragen gedenke, daß seine Souveränitätsproklamation vom Kongreß der Volksdeputierten der UdSSR für null und nichtig erklärt worden sei.

Brazauskas ist Chef der von der KPdSU abgefallenen litauischen KP und war bis zu den jüngsten Wahlen Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets in Wilna. Alle Mitglieder der von ihm geführten Delegation sind zugleich Deputierte des Obersten Sowjets der UdSSR, in dem sie sich nach eigenem Bekunden aber nur noch als Beobachter fühlen. Der Oberste Sowjet setzte am Montag seine durch die außerordentliche Tagung des Kongresses für vier Tage unterbrochenen Beratungen fort. Auf der Tagesordnung steht unter anderem der Entwurf eines Föderationsgesetzes, mit dem auch die Prozedur für einen Austritt von Unionsrepubliken aus der UdSSR geregelt wird.

Litauen hat am Montag den Einspruch Moskaus gegen seine Unabhängigkeitserklärung zurückgewiesen. Ein Schreiben des Obersten Rates in Wilna, das vom Präsidiumsvorsitzenden Vytautas Landsbergis unterzeichnet ist, wurde von einem litauischen Abgeordneten im Kreml übergeben. Es enthält die Antwort auf das Telegramm des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow vom Freitag.

Wie verlautet, beruft sich Litauen in der Antwort auf das Völkerrecht, verweist auf die Unterzeichnung der KSZE -Schlußakte von Helsinki durch die Regierung der UdSSR und erklärt, die vom neuen Parlament in Wilna gefaßten Beschlüsse hätten in der Republik Litauen nach wie vor Gesetzeskraft.

Am Sonntag abend haben in Wilna zwischen 50.000 und 100.000 Menschen aus ganz Litauen gegen die Sezession demonstriert. Die Demonstranten repräsentierten vor allem den russischen Bevölkerungsteil. Sie forderten zivilen Ungehorsam von den litauischen Staatsbediensteten und Maßnahmen zum Schutz sozialistischen Eigentums. Die Unabhängigkeitsproklamation wurde als Staatsstreich bezeichnet.

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