: Börsenecho mit Zwischenhopsern
■ Reaktionen auf die DDR-Wahlen: Mittelfristig befürchtet die Spekulantenwelt steigende Zinsen durch die Wiedervereinigung / Till Necker: Gewerkschaftsgesetz in der DDR kippen / KSZE-Wirtschaftskonferenz eröffnet / Bundesdeutsche Börsen reagieren hocherfreut
Berlin (taz/dpa) - Nicht ohne Symbolkraft waren die gestrigen Kurs-Bewegungen an den Börsen der Welt in Frankfurt und anderswo. Während die bundesdeutschen Aktien am Montag früh nach dem Wahlsieg der konservativen Allianz in der DDR einen gewaltigen Sprung nach oben machten, verzeichnete man beispielsweise in Tokio den zweitgrößten Einbruch des Nikkei-Index nach dem „schwarzen Montag“ am 20. Oktober 1987 - vor allem aus Japan kamen in letzter Zeit Klagen, daß die Unternehmen des Landes von der Ost-West -Annäherung, insbesondere der deutsch-deutschen, abgehalftert werden. Denn der dortige Ausverkauf findet ohne sie statt.
Der Sprung nach oben erschreckte die Frankfurter Börsianer offenbar selbst ein wenig, denn gegen Mittag stellten sie alle fest, daß sie eigentlich doch immer noch recht große Angst vor höheren Zinsen haben, und trennten sich dann teilweise von ihren Papieren: Die deutsch-deutsche Einigung kostet schließlich, und die Belastungen auf dem Kapitalmarkt dürften die Zinsen nach oben treiben. Immerhin konnten vor allem die Aktien des Energie-Konzerns Preussag, von Siemens, VW und der Deutschen Bank - allesamt mit DDR-Ambitionen unterm Strich noch satte Gewinne einstreichen, nachdem sie am Morgen auf einen Schlag um bis zu 30 Mark zugelegt hatten.
Nicht nur die Aktien, auch das Aushängeschild Nr. 1 der Deutschen Wirtschaft, die D-Mark, zehrte vom Wahlsieg der Allianz in der DDR, und dies, obwohl auch ihr Wert nach Einschätzung von Fachleuten unter die Räder kommen könnte, wenn sie denn im Zuge einer schnellen Währungsunion auch in dem Bereich der überaus weichen Ost-Mark und ihrer maroden Wirtschaft gelten sollte. Gegenüber dem US-Dollar machte die D-Mark gestern an der Frankfurter Devisenbörse einen Sprung um einen Pfennig nach oben, obwohl sich gerade der Dollar in letzter Zeit eher stark gezeigt hatte. Ein Dollar ist jetzt nunmehr 1,68 D-Mark wert.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) frohlockte erwartungsgemäß aufgrund des Wahlergebnisses und machte sogleich den wahren Gewinner aus: Es handele sich um einen „Vertrauensbeweis in die erfolgreiche Wirtschaftspolitik der von Helmut Kohl geführten Bundesregierung“. Nunmehr sei die Voraussetzung für eine handlungsfähige, von marktwirtschaftlichen Kräften getragene Regierung gegeben.
BDI-Präsident Till Necker äußerte nicht nur die Hoffnung auf eine rasche Regierungsbildung in Ost-Berlin, sondern stellte sogleich Forderungen an sie: eine schnelle Beseitigung der noch bestehenden Investitionshindernisse. Dazu gehörten nötige Änderungen im Gesetz über Gemeinschaftsunternehmen („Joint-ventures“) und die Rücknahme des gerade erst verabschiedeten Gewerkschaftsgesetzes. Till Necker sprach sich - wie es die Regierung Kohl inzwischen ultimativ fordert - für den Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes aus.
Gestern nachmittag begann unter dem Eindruck der DDR-Wahl die Wirtschaftstagung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Bonn. Die rund 1.000 Teilnehmer aus 35 Teilnehmerstaaten werden drei Wochen lang über das ökonomische Zusammenrücken von Ost und West beraten. Die Tagung war freilich bereits im Januar 1989 konzipiert worden.
ulk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen