AUSLAUFMODELL FRAU

■ Nancy Spero und die unermeßlichen Hüftweiten weiblicher Kunst

Kunst von Frauen ist exzessiv, sie kennt keine (Scham) -Grenzen, keine Schicklichkeit, kein Maß („zwischen Überfluß und Mangel“, Annelie Pohlen, Katalog) - erst recht die von Nancy Spero: Die einen finden „oft 30 Meter lange friesartige Bänder“, die andern „wandfüllende Frauenfriese“ von „ausgedehnter Ordnung“, im Katalog verbergen sich gar Panele von „40 Metern Gesamtlänge“. Diese Frau und Künstlerin, so ist zu vermuten, kann sich einfach nicht zusammenreißen, findet kein Ende, keinen Anfang, unermeßlich und unersättlich stempelt sie ihre Figuren auf Papierrollen ab, Serien von mythologischen, modernen, archäologischen Pappfrauen, in- und aufeinander geklebt. Lauter Unterschriften, Wortmeldungen „hallo hier spricht frau“ in Form kleiner Frauensilhouetten, lang und ausdauernd ausprobiert, groß, klein, mehr oder weniger stark aufgedrückt - kann das, so fragt der Kunstkenner, den einmaligen Künstlerab- und ausdruck ersetzen? Und wenn, ist das Serie, Fragment, Reduktion und Abstraktion genug, um nicht mit den Kartoffelstempelbildern des Volkshochschulkurses verwechselt zu werden?

Penck patzt und kleckst Männchen aller Art, Spero klebt Frauchen. Die Frau setzt immer sich selbst, hätte man früher gesagt, sie kann nicht über sich hinaus, weil sie nichts schafft, sondern sich selber abbildend immer nur ist. Inzwischen ist all das Frausein, Körpersein positiv besetzt als feminine Bildersprache, als Morphologie des Körpers, „einhergehend mit der Vorstellung von Fluidität, Diffusion, Dauer... Eine Art Gefäßöffner in der Welt der Orgasmen, ein Geben, Verteilen, Ausstreuen von Freude und Genuß, ohne an Folgen oder Verschließen zu denken“, mit diesem Zitat von Helene Cixous und anderen wird Spero in die feministische Semiotik eingeschrieben, eine Initiation inclusive Infektion: in jedem Kunstgeschichtsaufsatz wird tradiert, beschwörend wiederaufgesagt, was so hermetisch abgeriegelt sich als das Andere präsentiert, und was Spero selbst bei ihrer Schnitzeljagd an solcherart Erklärungen fallen läßt. Jetzt, da das Fließen, Strömen, Öffnen aufgehoben ist im Kontext mütterlich beschützender und sinnspeisender Sprachtheorie, werden die meterlangen Bahnen zum Muß, zum Markenzeichen.

In Berlin sind sie nicht zu finden. Das Haus am Waldsee ist nicht dreißig, nicht sechzig Meter lang, und keine Panele geht über eine Wand hinaus, sprengt den Rahmen, läuft am Fries entlang, keine Stempelfrauen hüpfen über der Fußleiste um die Ecke, wie es eine very busy Artemis, amerikanisch wie eine nervöse Hausfrau in Nancy Speros Wandinstallation „To Soar“ 1988, im Museum of Contemporary Art/Los Angeles in einer Ausstellung getan hat (ein Wandaufdruck, der nach dem Ende der Ausstellung wieder gelöscht wurde). Hätten nicht auch im Haus am Waldsee die unermeßlichen Weiten der Spero -Kunst die Wände auflösen müssen, ein einziger Stempel, zehn Zentimeter hoch, hätte doch schon, wie es auf den gar nicht rationell ausgenützten verschwenderisch leeren Papierbahnen geschieht, die Wand zur Kunst geheiligt, den Putz bedeutungsbesetzt. Aber, sagt der Kunstkenner, Nancy Spero ist eine Feministin von Format. Sie kann sich beherrschen, sie benutzt eine Bildersprache, die auch dem „objektivierenden männlichen Anstarren standhält“ (Spero). Ihr Format gestattet das.

Man muß ihr, der Verfließenden, Sich-Verströmenden nicht sagen, sie möge sich jetzt mal zusammenreißen, damit man ihr Geklebsel ansehen kann, denn sie hat sich ja selber ein Format gegeben, einen Rahmen gesteckt, eine Interpretation angeboten. So suggerieren es Ausstellung und Kunstkritik.

All das berührt die Stempel- und Ausschneidefrauen nicht. Unendlich könnten sie fortfahren mit ihren gymnastischen Streck- und Beugeübungen, mit ihrem elegischen Springen, Olympiasiegen. An manchen Stellen gehen sie alle zusammen, magisch angezogen von etwas nicht Bezeichnetem: Beim Lesen scheint sich der räumliche Abstand der Figuren zu verändern. Daneben dehnt sich das Bild in der Zeit, die Serie einer sitzenden trauernden Frau wird zur fotografischen Sequenz, zum Film. Und noch einmal durchkreuzt durch den schnellen Laufschritt einer Vietnamesin, die die Frontal- und Profilansichten, diagonal aus der Tiefe kommend, durchbricht.

Versatzstücke griechischer und ägyptischer Ikonographie gleichwertig neben Hieroglyphen moderner Bildnormen, ausgeschnitten aus Vorlagen verschiedener Zeiten und sozialer Räume, füllen sie die Bahnen wie Industriedesign die Vorhangstoffe. Was an Speros Kunst Qualität ist, tritt nicht als Materialwert, als ein benenn- und zählbares Meisterwerk hervor. Retten sich deshalb männliche und weibliche Blicke beim „Anstarren“ in die Quantität der Papierbahnen, ins Format der Weiblichkeit, in die Hüftweiten der Frauenkunst, aus Angst oder Protest gegen die Vorstellung, daß Frauen Suppendosen (dann schon lieber „Gefäß“) werden könnten? - und selbst diese Suppendosen sind doch, eingerahmt und abgezählt, längst hochwertige Kunst.

Nancy Spero, die sich gegen die Pop-art eigensinnig anstempelnd engagiert, mit Artaud im Kopf malt, Krieg und Folter pinselt und buchstabiert. Ihr bleibt folgerichtig auch in der Rezeption die souveräne Eleganz der warholschen Suppendosen versagt - das Interesse am Engagement ist ein meta-sprachliches, das Interesse an der Form endet im Format, im Zwang zur Größe. Weil diese Kunst erst ins Frausein getunkt und dann durch die Theorie gezogen wurde, ist ihr bei Nötigung der Nichtachtung eines verboten: absichtslose Ernsthaftigkeit, liebevolles Arrangement des Ausgeschnittenen, Kleben fixer Ideen, Ausstellen des Abgestempelten als Abgestempeltes. Kunst von Frauen, ein auslaufendes Gefäß - den einen Dekor, den andern beglückendes Füllhorn.

Dorothee Hackenberg