piwik no script img

Total festgefahren

■ Trotz Kompromißangebot der Gewerkschaften schaltet die SPD im Senat weiter auf stur

Über 4.000 Westberliner Kita-ErzieherInnen befinden sich seit 10 Wochen im Arbeitskampf. Sie streiken für bessere Arbeitsbedingungen, für einen Zusatztarifvertrag, der die Größe der Gruppen und den Personalschlüssel (Anzahl der Fachkräfte pro Gruppe) festschreiben soll. Außerdem fordern sie die Anrechnung der Vor- und Nachbereitungszeiten auf die Arbeitszeit, bezahlte Freistellung für Fort- und Weiterbildung und Umschulungsmaßnahmen.

Rund 40.000 Kids werden täglich bei gestreßten Tanten, Großmüttern oder NachbarInnen abgegeben. Mütter und Väter nehmen abwechselnd ihren Urlaub und bleiben zu Hause, um ihre Kinder zu hüten. Doch der Jahresurlaub ist bei vielen bereits aufgebraucht, viele befürchten bereits Entlassungen. Eine völlig festgefahrene Situation. Aber die SPD im Westberliner Senat bleibt immer noch knallhart.

Dabei haben die Streikenden und ihre Gewerkschaften, ÖTV und GEW, schon Riesenkompromisse signalisiert. Von einer tariflichen Festschreibung der Gruppengröße und des Personalschlüssels hat die Tarifkommission inzwischen Abstand genommen. Hierfür soll nun eine beidseitige Erklärung genügen. Doch die Vor- und Nachbereitungszeiten, Fort- und Weiterbildung sowie Umschulung sollen unbedingt per Tarifvertrag geregelt werden. Aber Innensenator Pätzold und die Vermittlerin Sozialsenatorin Stahmer wollen auf keinen Fall, daß Zahlenangaben, die Auswirkungen auf die Personalbemessung in den Kitas haben könnte, in einen derartigen Vertrag kommen. Sie befürchten, daß durch ein solches „Einlaßtor“ die Gewerkschaften einen Zugriff auf die Personalausstattung und damit auf das Budgetrecht des Parlaments bekommen könnten.

Unterhalb eines Tarifvertrags, etwa durch beidseitige Erklärungen oder ein Kita-Gesetz, zeigt die SPD gegenüber den meisten Forderungen großes Entgegenkommen. Aber den Streikenden ist das nicht genug. Sie fürchten, daß diese Zugeständnisse, wenn sie nicht tariflich festgeschrieben sind, jederzeit unter diesem oder einem anderen Senat zurückgenommen werden können. Bei der letzten Streikvollversammlung klang das „Wir streiken weiter“ noch laut. Aber wie lange werden die Kräfte reichen?

Die taz sprach mit zwei Aktivistinnen des Frauenstreiks. Marita Melzer, 33 Jahre, zwei Kinder, arbeitete 13 Jahre als Erzieherin. Vor drei Monaten wurde sie als Personalrätin freigestellt. Sie ist Mitglied der Tarifkommission und seit 1979 in der ÖTV. Birgit Lange, 32 Jahre, ein Kind, arbeitet als Erzieherin im Pestalozzi-Fröbel-Haus und sitzt dort in der Streikleitung. Sie ist seit viereinhalb Jahren in der ÖTV.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen