piwik no script img

Götterdämmerung im Pantheon?

■ In Amerikas Verlagen tut sich was: Die Manager proben den Aufstand gegen die Eigentümer

Das amerikanische Verlagswesen befindet sich seit einiger Zeit in einer Phase des Umbruchs. Mehrere führende Unternehmen der Branche mußten bereits aufgeben, immer mehr Angestellte werden entlassen und die Verlage sehen sich einem zunehmenden Kostendruck ausgesetzt.

In den letzten Wochen sorgte vor allem der Fall des Verlagshauses Pantheon für internationale Schlagzeilen und löste einen Sturm der Empörung aus. Anlaß war das erzwungene „Ausscheiden“ von Verlagschef Andre Schriffrin, der sich weigerte, bei den geplanten umfangreichen Programm- und Belegschaftskürzungen mitzuspielen...

Der Verlag Pantheon Books wurde im Jahre 1942 in New York von den deutschen Emigranten Kurt und Helen Wolff zusammen mit dem französischen Verleger Jacques Schiffrin, dem Vater von Andre und Begründer der bekannten Bibliotheque de la Pleiade, gegründet - drei der bekanntesten europäischen Verlegerpersönlichkeiten der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, deren Verlage von den Nationalsozialisten aufgelöst bzw. „arisiert“ wurden. Das neue Unternehmen Pantheon Books wurde bald zu einem wichtigen Forum für eine bedrohte Kultur und engagierte sich von Anfang an für gesellschaftliche Veränderungen. Eines der ersten Projekte des Verlages war eine kleinformatige Ausgabe von Vercors' Silence de la Mer, die von Flugzeugen aus über dem besetzten Frankreich abgeworfen werden sollte.

Im Jahre 1961 gründeten Kurt und Helen Wolff dann eine eigene Buchreihe im Verlag Harcourt Brace Jovanovich, und Pantheon ging in den Besitz des Verlagsunternehmens Random House über, das etwa zur gleichen Zeit auch einen weiteren unabhängigen, von deutschen Emigranten gegründeten Verlag, Schocken Books, erworben hatte, dessen Programm jetzt von Pantheon übernommen wurde. Randoms Mitbegründer Bennett Cerf machte den gerade 28jährigen Andre Schiffrin erst zum Cheflektor und bald darauf zum Verlagsleiter von Pantheon Books. Im Jahre 1980 verkaufte der Großkonzern RCA die Random-House-Gruppe dann an das Unternehmen Newhouse Publications des Medienzaren S. I. Newhouse, wobei der neue Besitzer öffentlich verkündete, daß sich an der Struktur des Verlages nichts ändern würde, sondern mit der Übernahme lediglich eine bessere finanzielle Grundlage geschaffen und die verlegerische Integrität garantiert werden sollte.

In der Tat ist das Programm der bei Pantheon erschienenen Bücher überaus eindrucksvoll: Zu den hier verlegten Autoren zählen nicht nur Boris Pasternak, Marguerite Duras, Italo Calvino, Giuseppe de Lampedusa, Günter Grass und Peter Schneider, sondern auch Jean Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Willy Brandt, Orville Schell, Noam Chomsky, Ralph Nader, Gunnar und Alva Myrdal, Michel Foucault und Eric Hobsbawn. Hier finden sich auch die oral histories von Studs Terkel und anderen, die Photographien von Robert Frank und Walker Evans, wissenschaftliche Texte von R.D.Laing, Alan Watts und C.G.Jung, Einführungen in die Theorien von Einstein, Marx und Freud, aber auch Werke der Unterhaltungsliteratur von Art Spiegelmans Maus bis zu den Kriminalromanen von Sjöwall und Walhöö und den Grostesken von Monthy Python's Flying Circus. Insgesamt stand Pantheon Books für ein breites Spektrum überaus kritischer und auch linker Stimmen und nahm in der amerikanischen Kultur einen wichtigen Platz als Mittler auch für andere Kulturen und Literaturen ein.

Natürlich ließen sich mit diesen Büchern keine große Umsätze und Profite erzielen, und Robert L.Bernstein, der oberste Chef von Random House, war sich dieser Tatsache von Anfang an bewußt. Immer wieder trat er dafür ein, daß Pantheon Books aus Gründen der verlegerischen Verantwortung nicht den gleichen rigiden Rentabilitätskriterien unterworfen werden dürfe wie andere Bereiche des Verlagskonzerns, weil das literarische Prestige dieser Reihe entscheidend sei. Auch Verlagsleiter Andre Schiffrin, in allen Bereichen der Literatur und in sechs Sprachen zu Hause, widmete sich mit ganzer Kraft dieser verlegerischen Verantwortung.

Diese Tradition zu bewahren, hatte wie gesagt auch der neue Eigentümer D.I.Newhouse versprochen. Im Jahre 1988 jedoch begann diesem Versprechen zum Trotz die Demontage des Verlagskomplexes mit dem Verkauf des überaus gewinnbringenden Lehrbuchverlages von Random House, der für rund 200 Millionen Dollar veräußert wurde. Damit zeichnete sich ab, wo das eigentliche Interesse von „Si“ Newhouse lag: Acht Jahre zuvor hatte er nur etwa ein Drittel dieser Summe für den gesamten Verlagskomplex Random House bezahlen müssen.

Angesichts der Forderung des neuen Konzernherren nach Einsparungen und verbesserter Rentabilität sowie der Ablösung von Schiffrin und der Schaffung eines „ausgewogeneren“ Programms bei Pantheon trat im letzten Jahr Konzernchef Robert Bernstein in den Ruhestand und wurde durch den „Scharfmacher“ Alberto Vitale ersetzt, der sofort damit begann, das allzu umfangreiche und vor allem zu linkslastige Verlagsprogramm von Pantheon zu reduzieren und die angeblich riesigen Verluste der Reihe durch Einsparungen und Kündigungen aufzufangen. Ende Januar dieses Jahres wurde Andre Schiffrin aufgefordert, die Liste der bis dahin über 100 Titel jährlich drastisch zu kürzen und den weitaus größten Teil seiner Mitarbeiter zu entlassen. Schiffrin weigerte sich und wurde gezwungen, „freiwillig“ zum 15.März 1990 aus dem Unternehmen auszuscheiden. Sein Nachfolger wird Fred Jordan, der ehemalige Cheflektor von Grove Press. Im Rahmen des „beiderseitigen Einverständnisses“ wurde verabredet, daß sowohl Bernstein als auch Schiffrin sich nicht öffentlich zu den Gründen ihrer Entlassung äußern dürfen, wenn sie nicht die gezahlte Abfindung verlieren wollen.

Nach Bekanntwerden von Schiffrins Demission reichten die fünf Lektoren von Pantheon Books - Sara Berchtel, Tom Engelhardt, James Peck, Susan Rabiner und Wendy Wolf - aus Solidarität ebenfalls ihre Kündigung ein. Darüber hinaus protestierten nicht nur die Amerikanische Schriftstellergewerkschaft, sondern auch eine Reihe von angesehenen Autoren des Verlages gegen die „Enthauptung des Verlages“ und forderten S. I. Newhouse auf, „seine Verantwortung als Bewahrer einer der wertvollsten kulturellen Reichtümer Amerikas ernstzunehmen und seine Entscheidung zurückzunehmen“. Ihre Petition wurde von einer Vielzahl weiterer Autoren unterschrieben, darunter William Styron, Erica Jong, Joyce Carol Oates und Arthur Miller. Auch zahlreiche europäische Verleger schickten Protestschreiben an Newhouse. In einem namentlich gezeichneten Leitartikel im 'Publisher's Weekly‘, dem amerikanischen 'Börsenblatt‘, bezeichnete Herausgeber John F.Baker die Entlassung Schiffrins als einen „schwarzen Tag“ für das amerikanische Verlagswesen. Am folgenden Montag versammelten sich über 300 Autoren, Lektoren und Literaturagenten, angeführt von Studs Terkel und Kurt Vonnegut, Jr., vor dem New Yorker Firmensitz von Random House in der 50.Straße zu einer Protestdemonstration. Kritik handelte sich auch die 'New York Times‘ ein, die zuerst nur im Wirtschaftsteil von den Vorgängen berichtet hatte und sich später eindeutig auf die Seite des Managements gestellt hatte.

Die Zukunft von Pantheon Books ist ungewiß. Die Mitarbeiter sind demoralisiert, und viele namhafte Autoren des Hauses haben sich entschlossen, den Verlag zu wechseln, worüber Vitale keineswegs bekümmert zu sein scheint. Als Ausgleich trägt er sich mit dem Gedanken, den Verlag Grove-Weidenfeld zu kaufen der unter anderem so bekannte Autoren wie Samuel Beckett, Jean Genet, Harold Pinter, Jack Kerouac und Henry Miller verlegt und von seiner Besitzerin, der schwerreichen Mrs.Ann Getty, wegen anhaltender Verluste zum Verkauf angeboten wurde. Die backlist dieses prominenten kleinen Verlags ist natürlich ein attraktives Objekt für potentielle Käufer und verspricht gute Gewinne bei minimalen Kosten.

So ist abzusehen, daß sich das unverhüllte Streben nach schnellem Profit auch bei Random House und Pantheon durchsetzen wird - auf Kosten der Mitarbeiter und der kulturellen Vielfalt. Ein Zeichen der Hoffnung mag sein, daß eine ganze Reihe von Mitarbeitern von Random House sich in der letzten Woche bereit erklärt haben, eine Art Solidaritätserklärung zu unterschreiben, die sicherlich zum Teil auch dem neuen Chef des Hauses, Fred Jordan, Mut machen soll, die Linie des traditionsreichen Verlages Pantheon so gut wie möglich fortzusetzen. Die Kontroversen im amerikanischen Verlagswesen machen jedenfalls deutlich, wohin die Entwicklung geht - und das nicht nur in den Vereinigten Staaten...

Hans.-H. Harbort

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen