: Naivoder schlecht informiert?
■ Betr.: Zum jugendpolitischen Hearing der Grünen am 8.3.90
Es ist unerträglich, mit welcher Arroganz und Unkenntnis sich die für Jugendpolitik zuständige Grünenabgeordnete als Richter aufspielt!
Seit Jahren ist die sich ständig verschlechternde Situation für Jugendliche in Bremen bekannt. Sparmaßnahmen bei den öffentlichen Jugendeinrichtungen, indirekte Sparmaßnahmen bei den Jugendverbänden und fast keine müde Mark für neue Initiativen von Jugendlichen.
Nun gibt es in Bremen Jugendverbände, die bei der SPD über eine gute Lobby verfügen. Daß der bis jetzt für Jugend zuständige Referent beim Sozialsenator aktives Mitglied bei einem der ausgetretenen Verbände ist, ist ja wohlbekannt.
Andere Verbände waren oft konträrer Meinung zur SPD. Aufgrund der Bremer Situation sah sich die SPD veranlaßt, ihre unternehmerfreundliche Politik (mit unseren Steuergeldern) noch auszudehnen und bei Gesundheit, Bildung, Sozialem und Jugend drastisch zu sparen.
Und nun zu dem Konflikt der Jugendverbände:
Einige Jugendverbände stehen prinzipiell hinter dieser Politik der SPD und verstehen die Kürzungen und Nichtaufstockungen im Jugendbereich, wollen aber selbst nichts abgeben, sondern eher mehr bekommen. Aufgrund guter Verbindungen werden sie natürlich oft „ernster genommen“ als andere Verbände.
Seit über zehn Jahren fordern einige Verbände im Sinne der Gleichbehandlung auch einen Jugendbildungsreferenten. Der Senat hat nun seit ca. drei Jahren eine Antwort:
Die Jugend bekommt keine müde Mark dazu, aber übernehmt doch eine bestehende Bildungsreferentenstelle von irgendeinem Verband oder Institution. Tips, woher ihr die Stelle klauen könnt und mit welcher Strategie, liefern wir gleich mit. Und wo tuts einzelnen Verbänden am wenigsten weh?
Die Stellen bei den Jugendringen. Und schon ist plötzlich für einige Verbände die inhaltliche Arbeit der Jugendringe zugunsten von vielen Jugendlichen nicht mehr wichtig, ja angeblich schadet sie sogar den Verbänden.
Die ersten Verbände treten aus den Jugendringen aus, ein Verband versucht „vermittelnd“ dasselbe zu erreichen (der Jugendfunktionär ist auch aktiver Genosse), er tritt dann mit einem letzten Erpressungsversuch auch aus.
Nicht daß sie nach den „demokratischen Spielregeln“ mithandeln und mitbestimmen, nein, sie treten aus:
Wenn Ihr (die Mehrheit in den Jugendringen) nicht ahnt und macht, was wir wollen, dann treten wir aus, und Ihr werdet schon sehen, was Ihr davon habt. Und die Verbände sehen:
Geld wird den Jugendringen abgeknapst, die Stellen wackeln dauernd, die Zeit geht für den von der Behörde und den ausgetretenen Verbänden angezettelten Streit drauf, die Pfadfinder im Jugendring sollen ihre neue Stelle erst später und halb bekommen, während die ausgetretenen Pfadfinderverbände ihre Stelle bald und ganz bekommen sollen und so weiter und so fort.
Und nun zu Helga Trüpel von den Grünen:
Einigt euch - geht aufeinander zu - so ihr Apell. Und Zitat: „Die Grünen setzen sich für eine starke jugendpolitische Vertretung ein - ob die nun letztlich Landesjugendring heißt oder nicht.“ Diese „Aufeinander Zugehen“ soll de fakto heißen: gebt die Referentenstellen der Jugendringe ab. Und mit ihrem weiteren Satz leistet sie der spalterischen Politik der ausgetretenen Verbände Vorschub, die für eine starke jugendpolitische Vertretung doch nur wieder in die Jugendringe eintreten müßten.
Und Helga Trüpel: entweder du bist naiv oder schlecht informiert. Beides solltest du ändern oder die Jugendpolitik sein lassen. Und wir hoffen immer noch, daß die Grünen sich nicht unter „Sachzwängen“ der SPD anbiedern, sonder eine Jugendpolitik im Sinne der Jugendlichen machen.
Martin Lugenbiehl
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen