: „Eduscho“ bis „Casablanca“ nach Osten
■ Nicht nur die taz sucht sich ihre DDR-KundInnen: Auch die „Angestelltenkammer“, „Eduscho“, „Gewoba“ und „Piano“
Eine schnuckelige Postkarte der DDR-Insel Rügen. Aus der Vogelpersektive liebevoll gezeichnet, mitsamt den kleinen Buchten und Sehenswürdigkeiten. Mit Kuli hat der Bremer Kneipier Barry Randecker darauf die Stellen markiert und durchnummeriert, an denen er in gastronomische Joint -Ventures investieren will. Barry Randecker rechnet damit, daß er „die nächsten sechs bis acht Jahre“ in der DDR gut zu tun hat. In jeweils zwei, drei Jahren will er ein Restaurant hochbringen und sich dann von seinem 51-Prozent-DDR-Partner den „erheblichen Mehrverkaufswert“ auszahlen lassen, um sich den nächsten Objekten zuzuwen
den. Randecker betreibt in Bremen am Ostertorsteinweg das „Casablanca“, vorher hatte er u.a. am „Einstein“ und am „Bistro Brasil“ unternehmerisch gewirkt. In der Küche des „Casablanca“ arbeitet sich bereits ein Koch aus der DDR in westliche Gastronomie-Hektik und Gemüsevielfalt ein. Chef Barry Randecker hat vor, „Jungs“ wie diesen Koch, „wieder mit rüberzunehmen“. Denn Randeckers „Problem schlechthin“: DDR-Personal mit der richtigen „Arbeitshaltung“ zu finden: „Die müssen erst mal lernen zu verkaufen, statt zu versorgen.“
Barry Randecker ist bei weitem nicht der einzige, den das DDR
Goldfieber gepackt hat. Einige hundert Meter weiter, im Bistro „Piano“, hegt ein anderer Viertel-Kneipier ähnliche Pläne. Doch „Piano„-Chef Holger Martini will sie erst ausplaudern, wenn sie „unter Dach und Fach“ sind. Er verrät nur soviel: „Dresden“.
In der Branche, die im weitesten Sinne mit Lebensmitteln zu tun hat, nehmen viele Kurs Richtung DDR: Die Bremerhavener Fischindustrie hat sich zusammengetan, um mit dem Ostsee -„Fischkombinat“ zu kooperieren. Die Bremer Kaffeefirma „Eduscho“ ist dabei, in der DDR ihre Kaffee-Depots unterzubringen. Und die „Beck's Brauerei“ hat sich das
Exklusivlieferungsrecht für „HO Gaststätten“ gesichert. Für die Südfrüchte sorgt in der DDR die „Scipio-Gruppe“ Bremen. Nach den Volkskammerwahlen vor knapp einer Woche hat „Scipio“ die vorbereiteten Verträge unterschreiben lassen. In den fünf DDR-Bundesländern sollen Regionalgesellschaften die „flächendeckende Verteilung von Obst, Gemüse und Südfrüchten, vor allem Bananen, quasi über das ganze Land gewährleisten.“ In Dresden wird bald die „Dresden-Bremer -Frucht-GmbH“ in Erscheinung treten.
Vor lauter Kiwis und Bananen sollten aber die Bratwürste nicht ganz vergessen werden. Detlef Stockhinger, Junior-Chef von Bratwurst-„Stockhinger“, hat bereits Rostock und Warnemünde bereist und will, gemeinsam mit Ost-Partnern, an der Ostseeküste dafür sorgen, daß die Touristenschwärme in ihren Strandkörben nicht verhungern.
Ebenfalls im Geschäft mit den Brüdern und Schwestern: Die Angestellenkammer Bremen. Genauer: ihre finanziell selbständige Tochter „Berufs-Bildungs-Institut“, die schon früh ihre Fühler ausgestreckt hat, um festzustellen, daß die enormen Qualifizierungs-Defizite unter den DDR-Angestellten genau da liegen, wo die Angestelltenkammer Bremen ihr Know -How hat: Im kaufmännisch-verwalterischen Bereich (Kalkulation'Investitionsrechnung...). BBI-Chef Gerald Graupner will aber nicht als „Dampfwalze“ auftreten, sondern dazubeitragen, daß sich in Rostock eine „Partnerstruktur“
aufbaut. Schon bald sollen Bremer Übungsfirmen-Typen in der DDR aufgebaut werden.
Voll dabei auch die Sparkasse Bremen und die Dresdner Bank, die sich schon im Hotel „Warnow“ eingemietet hat. Dann der Bremer Vulkan, der sich auf der Neptun-Werft schon früh umgesehen hat. Oder auch die Wohnungsbaugesellschaften „Gewoba“ und „Bremische“ sowie unzählige Elektroinstallateure, Fensterbauer und Klempner. Wo es aber noch immer mangelt, so klagt die Bremer Handelskammer, sind die Verkaufsflächen, denn in Rostock etwa ist die gesamte Einzelhandelsverkaufsfläche etwa so groß wie das Gelände von „Weser-Park“.
„Unendlich“, so heißt es in der Handelskammer, sei der Bedarf an Existenzgründerseminaren und betriebswirtschaftlichem Know-How. Eine Vortragsveranstaltung über „Kreditwesen“ mit West-Rednern an der „Wilhelm Pieck-Universität Rostock“ lockt etwa 700 ZuhörerInnen. Mitarbeiter Chazinsky: „Im Moment gibt es nur ein Problem, die Leute abzuwehren.“ Die Fortbildung ist kostenlos. Chazinsky: „Das ist unsere Vorlaufleistung.“
Barbara Debus
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