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Ungarns Opposition vor dem Wahlsieg

■ Morgen finden die ersten Parlamentswahlen im Mehrparteiensystem statt / Liberale und Konservative vorn

Nach den mißglückten Prognosen der Demoskopen in Nicaragua und der DDR gibt ja niemand mehr etwas auf ihre Zahlen, hier sind dennoch die Ergebnisse der jüngsten Meinungsumfrage in Ungarn: Bund Freier Demokraten 23 Prozent, Demokratisches Forum 21, Kleinlandwirte 17, Sozialisten (ehemals KP) 9 und Junge Demokraten 7 Prozent.

Zwei fliegende Tauben, eine rot, die andere grün, beherrschen die Straßen in Budapest. Es ist ein einprägsames Zeichen, das den Aufwärtstrend des „Bundes Freier Demokraten“ (BFD) symbolisieren soll. Bis sich vor kurzem die Spannungen zwischen Ungarn und Rumänen im Nachbarland gewalttätig entluden, konnte sich die Partei, die wenig von nationalistischer Stimmungsmache hält, im Aufwind fühlen. Die Partei der alten Opposition, die Partei der Dissidenten, der bekannte Schriftsteller und Intellektuelle wie Mikos Haraszti und György Konrad angehören oder mit ihr sympathisieren, hat es im Gegensatz zu Gruppen ähnlicher Herkunft in der DDR geschafft, Wähler aus fremden Milieus an sich zu binden.

Doch „die Ereignisse in Rumänien haben den Wind gedreht“, spürt Matyas Eörsi, ein führendes Mitglied der Organisation und Spitzenkandidat der Partei in Budapest. Denn anders als die konservativen Konkurrenzparteien, das Ungarische Demokratische Forum und die drei Kleinlandwirteparteien oder die Christdemokraten, stehen die Freien Demokraten dem nationalistischen Aufschrei, der den furchtbaren Bildern aus Tirgu Mures folgte, mit skeptischer Distanz gegenüber.

„Wir sind immer für die Menschenrechte eingetreten, wir haben auch in unserer Gesellschaft für die Minderheitenrechte gekämpft, wir werden auch für die Rechte der Ungarn in Siebenbürgen kämpfen. Aber nicht, weil sie Ungarn sind, sondern weil sie eine unterdrückte Minderheit darstellen“, sagt Matyas Eörsi. Er weiß wohl, daß mit dieser Position Terrain beim Wähler verloren werden kann. Doch der emphatische Begriff von Demokratie, Rechtssicherheit und Menschenrechten, der aus den Erfahrungen der stalinistischen Vergangenheit und aus den am eigenen Leib erfahrenen Verfolgungen entstanden ist, könnte nicht aufgegeben werden, ohne daß das große Erschütterungen in der Partei auslösen würde.

Auch auf dem Felde der Ökonomie bemüht sich die Partei um Klarheit - hier allerdings in konservativer Richtung. Der vielen osteuropäischen Oppositionsbewegungen eigene Zug, aus den schlechten Erfahrungen mit der eigenen Gesellschaft die kapitalistische Ordnung zu verklären, hat sich auch beim BFD durchgesetzt. Zwar redet man mittlerweile in der Partei von einem „sozial-liberalen Programm“, in Wirklichkeit orientieren sich die meisten Ökonomen weiterhin an monetaristischen Modellen. Nur werden Thatcherismus und Reaganomics nicht mehr so emphatisch als eigene Strategie vorgestellt, wie dies noch vor Jahresfrist der Fall war schließlich konnten einige bekannte Persönlichkeiten der Partei in die USA reisen und dort die sozialen Auswirkungen dieser Theorien selbst in Augenschein nehmen.

Vielleicht ist das ja der Grund, so vermutet das 1981 gegründete Oppositionsblatt 'Beszelö‘, warum die Partei bis ins konservative Lager hinein Stimmen gewinnen kann. Immerhin, die sozialen Folgen dieser Politik werden jetzt diskutiert, vielleicht weil auch der Rückzug von Otilia Solt, bekannte Armutsforscherin und engagiertes Gründungsmitglied, manchem zu denken gab.

Auch der „Bund junger Demokraten“ (Fidesz), der seit seiner Gründung am 30. März 1988 kaum einen Konflikt mit der Staatsmacht scheute, zeichnet sich durch einen emphatischen Demokratiebegriff aus, der mit einer liberal -kapitalistischen Wirtschaftstheorie einhergeht. Doch klarer als der BFD tritt Fidesz gegen jegliche Restaurationstendenzen eines Ungarn von vor 1945 auf. Alte Werte, christliche Moral- und Familienvorstellungen werden abgelehnt. Dem von konservativer Seite vorgetragenen Wunsch, die Wirtschaftskrise abzufedern, indem die Frauen wieder an den Herd zurückkehren und die Arbeitsplätze für Männer freimachen, setzt der Fidesz ein klares Nein entgegen.

Zwar sind auch in dieser radikalliberalen Gruppe nur zehn Prozent der Kandidaten Frauen, doch immerhin wird hier darüber diskutiert. Und der Fidesz hat Leute, die die Mächtigen hierzulande immer wieder dazu reizen, die Organisation zum Buhmann zu machen. Zum Beispiel Victor Orban, der bei der Beisetzung des 1958 hingerichteten ehemaligen Ministerpräsidenten Nagy am 16.Juni letzten Jahres eine radikale Trauerrede hielt, die den damaligen Machthabern noch heute in den Ohren klingt, oder Tamas Deutsch, der am 21.August letzten Jahres wegen eines Transparentes, auf dem er sich im Namen Ungarns für den Einmarsch in der Tschechoslowakei entschuldigte, festgenommen wurde.

Als Petre Roman, der rumänische Ministerpräsident, verzweifelt nach ungarischen Schuldigen für das Massaker in Tirgu Mures suchte, kam er natürlich auf Fidesz. Die Gruppe habe, so Roman, die nationalistischen Gefühle der Ungarn Siebenbürgens aufgeputscht. Am Donnerstag wies Fidesz diesen Anwurf strikt zurück. Die rumänische Regierung solle sich an der eigenen Nase packen, denn eine Gesellschaft könne erst dann die nationalistischen Auseinandersetzungen beenden, wenn sie die demokratischen Rechte aller garantiere.

Dies zu tun, gibt auch die bisher größte Oppositionspartei, das „Ungarische Demokratische Forum“, vor. In einer Erklärung von elf Parteien stimmte gestern das Forum auch in den Chor jener ein, die zunächst demokratische Rechte einfordern und dann erst an die Rettung des Ungarntums in Siebenbürgen denken, doch bei einzelnen Erklärungen ist die Partei doch schärfer. Unverhohlen wird die „Unverletzlichkeit der ungarischen Nation“ beschworen. Und bei manchen Äußerungen klingen auch Träume von einem Groß -Ungarn durch.

Gegründet im September 1987, als der damalige Vorsitzende der Nationalen Volksfront, Imre Pozsgay, zu einer Diskussion mit ungarischen Schriftstellern kam und damit ein Schutzschild über die Gruppe hielt, war sie anfänglich noch nach links offen, zu den Reformkommunisten und unabhängigen Sozialisten. Das änderte sich jedoch, als mit Jozsef Antall 1989 ein Konservativer zum Präsidenten der Partei gewählt wurde. Seither mischen sich ungarisch-nationale Töne mit antisemitischen Ressentiments und einem marktwirtschaftlichen Wirtschaftsprogramm, das den Ausverkauf der ungarischen Ökonomie an das Ausland verhindern will. Die Partei will den Mittelschichten Heimstatt sein und hat trotz der nur geringen Mitgliederzahl von 21.000 sich über das ganze Land ausgebreitet. Die jetzt losgetretene Welle „wird uns unterstützen. Wir hoffen natürlich auch wie die Konservativen in der DDR auf die bisher unentschiedenen Wähler, die ähnlich hier mit 40 Prozent zu Buche schlagen“, wiederholt die Pressesprecherin der Partei allen, die es hören wollen. Ihr ist anzumerken, daß die Partei schon jetzt mit der relativen Mehrheit um die 40 Prozent zu kalkulieren beginnt. In den letzten Tagen meldet sie immer häufiger den Anspruch an, den Regierungschef zu stellen.

Ein möglicher Bündnispartner für das Demokratische Forum könnte die „Unabhängige Partei der Kleinlandwirte“ sein, obwohl sie sich in den letzten Wochen zwischen alle Parteistühle setzte, als sie die Forderung der Rückgabe des Bodens an die Besitzer von vor 1947 stellte und damit einen Sturm der Entrüstung auslöste. Doch auf dem flachen Lande hat diese, durch Abspaltungen allerdings geschwächte historische Partei, die noch bei den Wahlen von 1945 über 57 Prozent der Stimmen errungen hatte, weiterhin gute Chancen.

Eine fast tragisch zu nennende Rolle spielen die Sozialisten, die „Ungarische Sozialistische Partei“ (USP). Erst im Oktober aus der alten Staatspartei USAP entstanden, hatten die Parteireformer um Imre Pozsgay, den Außenminister Gyula Horn und Ministerpräsident Miklos Nemeth gehofft, die neue Formation könne auch die Wähler überzeugen. Und anfangs schien die Rechnung auch aufzugehen. Noch im November wollten 35 Prozent der Ungarn die Partei der Reformtechnokraten wählen, heute, nach diversen Skandalen und Skandälchen, ist die Reputation dieser Politiker geschwunden, die die Öffnung vor Jahresfrist erst möglich machten.

Die Sozialisten, das steht zumindest für alle anderen fest, werden in die Opposition gehen müssen. Imre Pozsgay ließ am Freitag auf einer Pressekonferenz zwar durchblicken, er sei als Einzelperson von anderen Parteien schon gefragt worden, ob er in ein neues Kabinett eintreten woll, doch er habe dies zurückgewiesen. Er fühle sich mit der Partei solidarisch.

Erich Rathfelder, Budapest

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