: Vierzigjähriger Krieg ohne Ende?
Besuch im Hauptquartier einer Rebellenarmee im Dschungel von Burma / Unbemerkt von der Weltöffentlichkeit herrscht dort seit vierzig Jahren Krieg zwischen dem Staatsvolk der Burmesen und den ethnischen Minderheiten ■ Von Klemens Ludwig
Das kleine Boot mit dem Außenbordmotor ist hoffnungslos überladen. Mit aller Kraft kämpft es gegen die Strömung auf dem thailändisch-burmanesischen Grenzfluß Moei an. Für den Steuermann ist das offenbar nichts Ungewohntes, denn wenn er nicht gerade Klippen umschiffen muß, raucht er genüßlich und in aller Ruhe seine Zigarette. Endlich hält das Boot, und wir werden aufgefordert, nun auszusteigen, während die meisten Passagiere sitzenbleiben.
Hier soll sich das Hauptquartier einer Rebellenarmee befinden? Vom Ufer aus ist jedenfalls nichts auszumachen, denn gleich nach der Anlegestelle beginnt erneut dichtes Gestrüpp; dieselbe Szenerie wie vorher auf der Strecke. Erst als wir einen kleinen Trampelpfad vom Ufer hinaufgeklettert sind, ändert sich das Bild schlagartig: stabile Häuser, Wege, einzelne Autos, Strommasten und ein Exerzierplatz mit rot-weiß-blauer Flagge. Wir befinden uns in Manerplaw, der provisorischen Urwaldhauptstadt der Karen, eines Sechs -Millionen-Volkes im Osten Burmas.
Unbemerkt von der Weltöffentlichkeit herrscht in Burma seit über 40 Jahren Krieg zwischen dem Staatsvolk der Burmesen und den ethnischen Minderheiten, die knapp 40 Prozent der 38 Millionen Einwohner stellen, aber zwei Drittel des Territoriums bewohnen. Diese Völker, von denen die Karen, Kachin, Mon und Shan die bekanntesten sind, unterscheiden sich grundlegend von den Burmesen. Sie verfügen über eine eigene Kultur, Sprache und Schrift. Manche leben schon weit länger in dem Gebiet des heutigen Burma als die Burmesen, die im 9. Jahrhundert aus Zentralchina kommend dort einwanderten und ein mächtiges Königreich errichteten.
Während der britischen Kolonialzeit im 19. Jahrhundert christianisierten baptistische Missionare die Karen, Kachin und einige kleinere Völker. Heute bildet das Christentum ein wichtiges Merkmal ihrer Identität gegenüber den buddhistischen Burmesen.
Als sich die Briten 1948 zurückzogen, traten die ethnischen Minderheiten der Burmesischen Union nur unter der Bedingung bei, in allen innenpolitischen Angelegenheiten uneingeschränkte Selbstverwaltung ausüben zu dürfen. Die Politiker der burmesischen Zentralregierung hielten sich jedoch nicht an die Vereinbarungen, sondern versuchten, die Völker militärisch zu unterwerfen. Daraufhin erklärten einige von ihnen die Unabhängigkeit; ein Schritt, der von der Weltöffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen, geschweige denn anerkannt wurde.
Ein funktionierendes
Gemeinwesen
Trotz der internationalen Isolierung und des Krieges, der weit über 100.000 Menschen das Leben gekostet hat, haben die Völker in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein bemerkenswertes Staatswesen aufgebaut. Manerplaw ist dafür ein Beispiel. 1979 wählte die Karen-Führung diesen unberührten Flecken Urwald oberhalb des Moei-Flusses für ihr Hauptquartier. Heute leben dort knapp 1.000 Männer, Frauen und Kinder. Der weltweit ignorierte Staat ist keinesfalls nur auf die Bedürfnisse des Krieges ausgerichtet. Die Kinder erhalten Schulunterricht, und großer Wert wird dabei auf das Erlernen der englischen Sprache gelegt. „Damit sollen sie die Chance haben, später gegebenenfalls auch im Ausland eine Perspektive zu finden“, erläutert ein Lehrer. Das Niveau des Unterrichts liegt in der Tat über dem vieler ländlicher Schulen in Thailand. Ausbildung ist für die Karen-Führung ein wichtiges Gut, das sie der heranwachsenden Kriegsgeneration mitgeben kann.
In Manerplaw residiert zudem ein elfköpfiges Kabinett und eine Volksversammlung, die jedoch aufgrund der Kriegswirren seit 1976 nicht mehr gewählt werden konnte. Eine eigene Gesetzgebung und Polizeitruppe sorgen für die Ordnung im Innern. Die Verbrechensrate ist nach Auskunft des Vizepremierministers Pado San Lin ausgesprochgen niedrig.
Die nötigen Finanzen für den Aufbau eines solchen Gemeinwesens beziehen die Karen in erster Linie durch Steuern. Alle Transporte von Holz, Edelsteinen und anderen Bodenschätzen, die durch ihr Territorium gehen, werden mit einer Abgabe belegt. Die Firmen akzeptieren die Regelung zumeist, denn ihnen bleibt kaum eine andere Wahl. Darüber hinaus beuten die Karen selbst eigene Bodenschätze aus und treiben Handel mit thailändischen Unternehmen.
In Manerplaw hat sich auch die „National Democratic Front“ (NDF) niedergelassen, der 1976 gegründete Dachverband der ethnischen Minderheiten. Der Zusammenschluß signalisierte eine politische Kehrtwendung, denn er kämpft nicht länger für die Unabhängigkeit der einzelnen Völker, sondern erstrebt ein demokratisches und föderalistisches Burma mit innerer Selbstverwaltung der Teilstaaten.
Seit dem Sommer 1988 hat der Kampf neue Dimensionen angenommen. Damals erhoben sich in der Hauptstadt Rangoon Hunderttausende von Studenten, Geistlichen und einfachen Bürgern gegen die Militärdiktatur. Nach einigen Wochen erstickte die Armee die Proteste in einem Blutbad, bei dem über 3.000 Menschen ihr Leben ließen. 6.000 flohen in die Gebiete der ethnischen Minderheiten, um damit Verhaftung, Folter und Mord zu entgehen. Dies war die erste Vereinigung von ethnischen Minderheiten und oppositionellen Burmesen in der Geschichte des Landes. Im November 1988 erhielt der Zusammenschluß mit der Gründung der „Democratic Alliance of Burma“ einen organisatorischen Rahmen.
Um den zermürbenden Kleinkrieg im Dschungel zu beenden, bemüht sich die Opposition um eine friedliche Beilegung der Konflikte, doch der Generalsekretär der NDF, Saw Maw Reh, sieht nur wenig Hoffnung: „Wir sind sofort zu Verhandlungen bereit und stellen nur zwei Bedingungen. Sie müssen an einem neutralen Ort und mit internationalen Beobachtern stattfinden. Die Zentralregierung erhebt dagegen völlig unakzeptable Forderungen, indem sie die bedingungslose Kapitulation unserer Verbände verlangt.“ Statt durchgreifender Reformen und der Aufgabe des Machtmonopols nach dem Vorbild des Ostblocks, setzt die Militärregierung lieber auf kosmetische Korrekturen. Für den 27. Mai hat sie allgemeine Wahlen angekündigt, um damit das angeschlagene internatioale Ansehen wiederherzustellen und neue Finanzquellen zu erschließen. Die Opposition spricht jedoch schon jetzt von einer „Farce“. Alle Führer der größten Oppositionspartei, der Nationalen Liga für Demokratie, sind von den Wahlen ausgeschlossen; einige sitzen sogar im Gefängnis oder stehen unter Hausarrest. Zudem schränken Kriegsrecht, Versammlungs- und Redeverbot den Wahlkampf drastisch ein. So zweifelt niemand an einem Sieg der Militärs und ihrer Nationalen Einheitspartei. Eine weitere kosmetische Korrektur bedeutete die Änderung des Landesnamens in Myanmar, die vorkoloniale Bezeichnung des Territoriums. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß Burma nicht länger vom Staatsvolk der Burmesen dominiert sei, sondern allen Völkern eine Heimat biete. Derartige Zugeständnisse lehnen die ethnischen Minderheiten als Augenwischerei ab.
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