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AUF DEM PARKETTBODEN DER TATSACHEN

■ Das Ostberliner Museum für Deutsche Geschichte / Von Gabriele Riedle

Die „Partei neuen Typs“ brauchte natürlich auch ein „Museum neuen Typs“: Das „Museum für Deutsche Geschichte“ ist ein „sozialistisches Geschichtsmuseum“. Und tatsächlich scheint seit der Steinzeit schon eines klar und unausweichlich: spätestens im Jahr 1949 unserer Zeitrechnung mußte es zwangsläufig zur Gründung des ersten sozialistischen und antifaschistischen Staates auf deutschem Boden kommen, was ebenso unausweichlich drei Jahre später eben die Einrichtung dieses Museums mit sich brachte, in dem gezeigt wird, daß seit der Steinzeit etc.... Die ständige Ausstellung vom Urmenschen bis zur Befreiung vom Faschismus im ersten Stock des Zeughauses ist dann auch tatsächlich im Kreis angeordnet. Kein Faustkeil ohne Durchschlagskraft, kein Stoßzahn ohne die richtige Stoßrichtung, jeder Wandtafelkommentar direkt angeschlossen an den immer schon währenden Fortschritt: „Die Urgesellschaft war die erste vollausgebildete Gesellschaftsformation. In ihr bestand Gemeineigentum am wichtigsten Produktionsmittel, dem Territorium. Damit fehlte die Voraussetzung zur Aufspaltung in Gesellschaftsklassen.“ So viel zum Stichwort „Festigung der Urgesellschaft - Jüngere Altsteinzeit 40.000 bis 5./3. Jahrtausend v.u.Z.“. Nicht weiter verwunderlich, daß das International Council of Museum, eine Spezialorganisation der UNESCO, dieses Museum unter die 37 für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts trendbestimmenden einordnet.

Fünf Abteilungen hat das im praktisch-dialektischen Stellwandsystem (jede Wand hat zwei Seiten) angeordnete Museum: Ur- und Frühgeschichte, Feudalismus, 1789 bis 1917, 1917 bis 1945 und Sozialistisches Vaterland DDR, letzteres zur Zeit nur im Abschnitt 1945 bis 1949 zugänglich. Und in diesen paar tausend Jahren hat sich immerhin - das lernt die Betrachterin doch ziemlich schnell - einiges getan, was die Entwicklung der Produktivkräfte anbelangt. Denn an der Basis, will sagen unten auf dem Parkettboden der historischen Tatsachen, kümmert man sich intensiv um das Sein, also um Produktionsmittel, technische Entwicklungen und vor allem um die gesellschaftlichen Antagonismen, dargestellt vor allem durch die verschiedenen Waffen und Embleme der gegnerischen Kräfte, was jeder - zwar nur noch im Kindergarten, aber doch immerhin auch noch irgendwann materialistisch geschulten westdeutschen Linken die Erinnerungstränen in die Augen treibt, wegen verlorener Jugend, und wie sie damals konspirativ die „Deutsche Ideologie“ von Karl Marx gelesen hatte, und die böse reaktionäre Geschichtslehrerin so gar nichts von ihren daraus gewonnenen Erkenntnissen über das Mittelalter hielt. Und jetzt hier diese Ausstellung zur Illustration des unter der Bank gelesenen Textes - späte öffentliche Rache an allen schwäbischen Studienrätinnen.

Der Überbau inklusive Bewußtsein befindet sich entsprechend oberhalb der Basis. Nämlich auf den kleinen in die Ausstellungsräume hineingebauten Emporen, deren Erklimmung sich die meisten Rundgänger wohl ersparen. Hier werden kulturgeschichtliche Aspekte dargestellt. Zum Beispiel „Kunst und Kultur in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts“: Auf dem entsprechend großzügigen, na sagen wir flotte 10 bis 15 Quadratmeter auf die Stelzen bringenden Balkon, stehen nicht nur ein Schrank, ein Tisch sowie zwei Jugendstil-Stühle von Henry van de Velde, nein, es gibt auch noch eine Vitrine mit diversen Gallet-Vasen, eine mit einem Jugendstil-Service, sowie zwei mit Erstausgaben von Mann, Mörike, Hauptmann und Storm, sowie an der Wand je ein Notenblatt von Wagner und Brahms. Denn schließlich „spiegelte sich die Krisenhaftigkeit der herrschenden Ordnung“ in der bürgerlichen Literatur und Kunst hier oben auf dem Balkon ohnehin ja nur wider, während unten die wirklichen Klassenkämpfe um so heftiger tobten.

Dort wurde zum Beispiel gerade (nämlich 1885) der Männerturnverein Diesdorf als Tarnorganisation der Sozialdemokratie gegründet, weshalb dessen Fahne ausgestellt wird. Überhaupt ist ja das Schöne am Klassenkampf, daß auf seiten der fortschrittlichen Kräfte nicht nur schon früh jede Menge bunte Wimpel, Fähnlein, Erinnerungsnadeln und Sinnspruchdeckelchen anfielen, sondern sich deren Vertreter gegenseitig auch aufmerksam und offiziell mit Aktentaschen oder Samowari beschenkten, die natürlich jetzt alle einen würdigen Platz in einer Vitrine finden müssen. Ganz zu schweigen von all den konspirativen Druckerpressen, Setzkästen, Schreibmaschinen und dazugehörigen Flugschriften, den Modellen revolutionärer Panzerkreuzer, Originalen revolutionärer Matrosenuniformen, den Versammlungsstätten-Puppenstuben oder den großformatigen Ölschinken aus den 50er und 60er Jahren, die locker zur objektiven Darstellung historischer revolutionärer Situationen vom Bauernkrieg bis zur Oktoberrevolution herhalten.

Schon die 20er Jahre mit all ihrer rasenden Geschwindigkeit, mit ihren Mythen vom Fortschritt, ihrem ersten medialen und metropolitanen Wahn und ihrem Taumel finden praktisch nicht statt: Auf dem Balkon gerade mal das eine oder andere Filmplakat, ansonsten scheint hauptsächlich die KPD in der Phase der „relativen Stabilisierung des Kapitalismus“ mit der Stabilisierung ihrer selbst beschäftigt zu sein, schließlich sind es nur noch wenige Jahre bis zum letzten Gefecht. Das naht nämlich spätestens mit dem Kriegsbeginn, denn dieser Krieg scheint hauptsächlich zwischen KPD und Sowjetunion einerseits und Nazi-Deutschland andererseits stattgefunden zu haben. Da versteht es sich quasi von selbst, daß etwa der nur als „Nichtangriffspakt“ im Katalog auftauchende Hitler-Stalin -Pakt als von den Westmächten geradezu erzwungen dargestellt wird und Konzentrationslager auch nur wegen Ernst Thälmann erwähnt werden. Über „Zustände in den Konzentrationslagern“ kann man sich auf einem Balkon informieren. Keine Rede vom Judenmord im Katalog, dafür um so mehr Kriegsgerät in der Ausstellung.

Aber keine Angst: Es naht ja die Befreiung und der direkte Übergang zur sozialistischen Spießigkeit und ihren Devotionalien: Es grüßt der Traktor aus der SU, es wird geschafft mit Adolf Henneckes Bestarbeiter-Werkzeug, es wird sich vereinigt und Otto Grotewohls und Wilhelm Piecks Händedruck auf Großfoto umkringelt, hier Grotewohls Brille, Schlüsselbund und Uhr, dort Piecks Arbeitszimmer, das ins Staatswappen eingegangene persönliche Tischlerwerkzeug inklusive. Und wieder Banner, Wimpel, Abzeichen - fast wie am Brandenburger Tor.

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