: "Die Japaner müssen vorsichtig sein"
■ taz-Interview mit Takashi Ishihara, Präsident des Nissan-Konzerns
taz: 45 Jahre nach Hiroshima zeigen sich die Kriegsverlierer Japan und die Bundesrepublik Deutschland in der Rolle wirtschaftlicher Siegermächte. Wo liegen die Gemeinsamkeiten?
Takashi Ishihara: Japan war bis 1952 besetzt. Auch Deutschland war ein besetztes Land. Beide Länder haben nach dem verlorenen Krieg erkannt, daß sie gescheitert waren. Aber danach herrschte der Wille vor, die Besatzung zu beenden und die Wirtschaft selbst wieder in die Hand zu nehmen. Das hat uns den Auftrieb gebracht.
Der japanische Auftrieb beschwört heute die Gefahr eines pazifischen Handelskrieges mit den USA herauf. Hat man in Japan bereits vergessen, was man den USA verdankt?
Wenn die Japaner heute Hiroshima und Nagasaki den Amerikanern nicht übel nehmen, dann nur, weil ihre Besatzungspolitik so gut war. Sie haben den Tenno richtig behandelt und eine revolutionäre Landreform durchgeführt, die den Unterschied zwischen Arm und Reich in Japan entscheidend verringert hat. Viele Japaner wissen, daß sich unser Land nur aufgrund der amerikanischen Besatzungspolitik wirtschaftlich entwickeln konnte.
Uns scheint, Sie sprechen mit der Stimme einer Generation, die in Japan längst nicht mehr von allen gehört werden will. Da gibt es doch ein enormes Bewußtseinsgefälle.
Ja, wahrscheinlich. Das Verhältnis zur Nation hat sich geändert. Früher war Japan ein kleines Land, nicht so groß wie jetzt. Die Menschen waren arm. Sie hegten einen einzigen Wunsch: so wie im Ausland zu leben, mit einem eigenen Haus, mit einem höheren Lebensstandard. Deswegen sollte Japan wirtschaftlich stärker werden. Die jungen Leute empfinden heute sicherlich anders.
Sie kennen nur Größe und Reichtum. Wollen sie noch mehr?
Sie sind wahrscheinlich ziemlich zufrieden mit der Welt. Ihre Probleme erschöpfen sich in der Wohnungssuche.
Das ist in Deutschland ähnlich. Aber wer verhindert, daß Politiker die Situation nutzen und wieder nationalistische Politik betreiben?
Zur Zeit sieht es ja so aus, als würden sich Japans Politiker nur für innenpolitische Angelegenheiten interessieren. Sie reden seit einem Jahr über die neue Mehrwertsteuer, während sich die Welt bewegt und die Berliner Mauer stürzt. Sie sollten also ihre Sicht der Dinge erweitern. Deswegen müssen vor allem wir Unternehmer uns stärker artikulieren, um mit den Politikern gemeinsam zu handeln, damit Japan vom Rest der Welt richtig verstanden wird.
Das ist derzeit offenbar nicht der Fall. In den USA und Westeuropa kommt eine japanfeindliche Stimmung auf. Man fürchtet die rücksichtslose japanische Wirtschaftsmacht, die die internationale Konkurrenz erdrückt, den Westen aufkauft und daheim den Binnenmarkt schützt. Machen Sie sich deswegen Sorgen, Herr Ishihara?
Ich habe gehört, daß Abgeordnete in Washington schief angeguckt werden, wenn sie im Kongreß japanische Gäste empfangen. Man argwöhnt, daß Japaner mit ihrem Geld die amerikanische Politik beeinflussen. Das bereitet mir in der Tat Sorge. Immerhin gibt es nicht nur Mißtrauen. Das zeigt sich daran, wo die amerikanischen Bundesstaatregierungen ihre festen Büros errichten: In Tokio sind es 40, in Washington bisher nur 28.
Das ändert nichts daran, daß viele US-Politiker heute meinen, mit „Japan-bashing“, dem Draufhauen auf die Japaner, auf Erfolgskurs zu liegen.
Ich halte es für gefährlich, wenn sich das Bild der Japaner in der amerikanischen Öffentlichkeit derart ändert.
Muß Japan deshalb den US-amerikanischen Forderungen in den bilateralen Handelsgesprächen nachgeben?
Japan muß nicht allen Forderungen nachgeben. Nur die Bedingungen, die akzeptabel sind, muß man hinnehmen. Das ist der japanische Standpunkt, den ich zu einem Zeitpunkt, wo die Verhandlungen noch laufen, nicht genauer erläutern kann. Aber der eigentliche Grund für den Handelskonflikt liegt im 50-Milliarden-Dollar-Überschuß, den wir jährlich gegenüber den USA erwirtschaften. Wenn wir den Überschuß nicht hätten, würden wir alle Forderungen der Amerikaner schlicht ablehnen. Aber so werden wir ihnen in dem Rahmen, den wir uns erlauben, schon entgegenkommen. Schließlich lassen sich unsere Profite nicht leugnen.
Damit überläßt Japan den Vereinigten Staaten weiterhin die politische Führungsrolle?
Natürlich. Das politische Machtverhältnis zwischen den USA und Japan ist zehn zu eins.
Wie ist das möglich, wenn das wirtschaftliche Kräfteverhältnis bald umgekehrt aussieht?
Nein, nein. Vielleicht zehn zu zehn. Die USA haben doch noch Technologien, die Japan nicht besitzt, die Atomenergie oder die Weltraumtechnik.
Auch in Westeuropa wird man Japans nicht froh. Der Aufbruch der westdeutschen Unternehmen gen Osten wird nicht zufällig auch damit gerechtfertigt, man gehe ja dabei nicht so aggressiv vor wie sonst die Japaner. Wissen Sie um Ihren Ruf?
Wir Unternehmer wissen wenig über die Situation in Europa. Ich kann mir nur vorstellen, daß die Politiker noch weniger wissen als wir.
Osteuropäische Länder hoffen auf japanische Investitionen, weil sie Angst haben, daß sonst nur die Deutschen kommen. Werden Sie diesen Rufen folgen?
Die Tschechen und Polen sind oft gekommen und haben gebeten, wir möchten schnell eine Wirtschaftsdelegation schicken. Aber wir können nicht einfach so hingehen, weil da keine wirtschaftliche Basis vorhanden ist, die für einen normalen Handel mit Japan nötig ist. In dieser Lage bringt eine Delegation nicht viel. Die schaut sich die Sache an, spricht da und dort mal vor und kommt ohne Ergebnisse zurück. Dazu möchte ich sagen: Wir sind natürlich bereit, eine Delegation für Wirtschaftshilfe und Investitionen hinreichend auszurüsten, wenn sich die politische Lage in diesen Ländern stabilisiert hat und die wirtschaftliche Ausgangsposition geschaffen ist.
Gehört es nicht in Ihre Verantwortung für Weltwirtschaft und Weltpolitik, jetzt im europäischen Osten und in der Sowjetunion mitzuinvestieren, noch dazu, wo Ihre Regierung in Tokio sprachlos ist?
Ja, ich glaube schon. Aber wir wollen nicht da einmarschieren, wo es zum Konflikt mit anderen europäischen Unternehmen führen wird.
Wo wird die erste Nissan-Autofabrik in Osteuropa stehen?
Ich gebe zu, daß ich darüber bisher nicht nachgedacht habe.
Das Unbehagen in Westeuropa und den USA wächst auch deshalb, weil sich Japaner nicht mehr wie gewohnt als artige Schüler des Westens, sondern nunmehr als internationale Lehrmeister aufführen. Das japanische Modell sei dem westlichen Individualismus überlegen, heißt es jetzt oft. Stimmen Sie dem zu?
Ich sehe eher eine Gefahr, wenn Japan bei internationalen Verhandlungen stur auf der eigenen Meinung besteht und sich allen anderen gegenüber ablehnend verhält. Das schafft unnötige Konflikte. Die Amerikaner können ihre wirtschaftliche Macht nicht halten, wenn sie Japan ignorieren. Der Handelsstreit mit Japan schadet ihnen, genauso wie er Japan schadet. Aus diesem Grund werden sich die Probleme allerdings auch irgendwann lösen lassen.
Die USA und Westeuropa haben mit dem sowjetischen Kommunismus ein Feindbild verloren. Die Christenwelt ist aber selten ohne Feindbild ausgekommen. Wer wird ihr nächster Feind?
Die Japaner müssen vorsichtig sein.
Von japanischen Politikern hört man selten derart vorsichtige Worte.
Premierminister Kaifu ist immerhin einer, der sich über solche Probleme Gedanken macht.
Herr Ishihara, Sie haben im vergangenen Jahr den Rücktritt von Premierminister Takeshita gefordert, als dessen verbotene Aktiengeschäfte bekannt wurden. Das taten sonst nur Sozialisten und Kommunisten. Als der Recruit -Korruptionsskandal auf dem Höhepunkt angelangt war, kommentierten Sie, jetzt trete endlich die „japanische Krankheit“ zutage. Wer sind die Ärzte, die das Land heute heilen können?
Wir Unternehmer müssen aktiver werden. Wir haben den Politikern ihr Geschäft zu leicht gemacht.
Die Unternehmer sind tatsächlich nicht schuldlos. Ihre Lobbyverbände blockieren die japanische Politik. Wie wollen Sie etwa den Einfluß des allmächtigen Bauernverbandes „Nokyo“ abbauen, der Japan den Reisimport verbietet?
Der Einfluß von Nokyo nimmt ab. Es wird Proteste geben, wenn die Bauern weiterhin Sonderrechte bewahren. Mit Sicherheit wird sich die japanische Agrarpolitik ändern, wahrscheinlich schon in diesem Jahr.
Sie sind bereit, politisch zu handeln. Aber sind es Ihre Kollegen ebenso?
Die Zahl der Unternehmer, die wie ich denken, nimmt zu. Politiker können in Japan überleben, auch wenn sie sich nur um die Innenpolitik kümmern. Dagegen müssen Unternehmer internationale Geschäfte wagen, wenn sie nicht untergehen wollen.
Weshalb denken japanische Unternehmer immer gleich an die ganze Welt, und japanische Politiker nur an ihr Dorf?
Anschließend bin ich mit Premierminister Kaifu verabredet. Ich werde ihm diese Frage stellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen