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Gruseltourismus im „Führerbunker“

■ Unbekannte kletterten in den Luftschutzbunker unter der ehemaligen Reichskanzlei / 'BZ'-Bericht als Einstiegsdroge? / Bunker wurde nach Spurensicherung durch die Ostberliner Polizei wieder verschlossen / Was wird aus der letzten Befehlszentrale des Nazi-Terrors?

Bedenkliche Auswirkungen hatte offenbar der Abenteuer -Journalismus des Boulevard-Blattes 'BZ‘: In den unterirdischen „Führerbunker“ auf Ostberliner Seite nahe des Brandenburger Tors sind in den letzten Tagen Unbekannte eingedrungen und haben an eine Wand „Sieg Heil“, SS-Runen und Hakenkreuze gesprüht. Auf die Idee gekommen sind die Einsteiger möglicherweise über eine Veröffentlichung der 'BZ‘. Die hatte am 23. März mit mehreren Fotos über „drei Freunde“ berichtet, die sich nachts in den Bunker „abseilten“. Das Besichtigen der unterirdischen Anlage, die in den letzten Kriegstagen als Kommandozentrale diente, beschrieb die Springer-Zeitung als „unheimliches Abenteuer“. Zum Ort des Nazi-Terrors zwecks nächtlichen Nervenkitzels.

Die Ostberliner Polizei entdeckte die Nazi-Parolen, weil nach dem 'BZ'-Bericht der „Berliner Rundfunk“ (Ost-Berlin) den Bunker besichtigen wollte. Neben den rechtsradikalen Graffiti entdeckten Polizei und Journalisten dann auch das aufgesprühte Datum „23.3.90“, Erscheinungstag der 'BZ' -Story. Die Kripo ermittelt bisher ohne Ergebnis gegen die unbekannten Sprayer. Nach der Polizeibesichtigung wurde der Eingang zur ehemaligen Kommandozentrale wieder mit einer Betonplatte verschlossen.

Der Luftschutzbunker wurde während des Krieges 15 Meter unter der Erde angelegt. Von ihm aus führten Zugänge zur alten und zur neuen Reichskanzlei sowie zum Außen- und zum Propagandaministerium. 1945 begingen Adolf Hitler und Eva Braun in der unterirdischen Befehlszentrale des Führers und seines engsten Stabes Selbstmord. 1959 wurden Decke und Ausstieg des Bunkers gesprengt. Ab 1988 wurde an der Beseitigung der Reste gearbeitet, weil auf dem Gelände Wohnungen errichtet werden sollten. Im November 1989 sind die Arbeiten gestoppt worden. Heute stehen die über 30 Räume unter Wasser.

Was aus dem Bunker werden soll, konnte Volkspolizei -Pressesprecher Michael Brämer der taz gestern nicht mitteilen. Er verwies auf den Magistrat: „Der muß entscheiden, was mit dem Führerbunker werden soll.“ Sabine Weißler, Kulturpolitische Sprecherin der AL, hatte bereits in der letzten Woche gefordert, daß der Bunker für die Öffentlichkeit zunächst nicht geöffnet werden soll: „Die verniedlichende Personalisierung des Bunkers als 'Führerbunker‘ muß konterkariert werden.“ Der Bunker müsse als Kommandozentrale im Zusammenhang mit dem militärischen nationalistischen Terror und dessen Stätten gesehen werden. Ihre Lage in der Berliner Innenstadt, ihre Bedeutung und ihre Beziehung zueinander müßten deshalb kenntlich gemacht werden. Die Vorstellung, „Touristenströme zögen durch die noch begehbaren Räumlichkeiten auf der Suche nach dem echten Grauen“, stoße ab. Ähnlich äußerte sich auch Klaus Martin Groth, Staatssekretär der Senatorin für Stadtentwicklung, der vor der Installierung eines „touristischen Gruselkabinetts“ warnte. Er forderte die Erarbeitung eines entsprechenden Konzepts mit Denkmalschützern, Historikern und Geschichtsinitiativen aus beiden Teilen der Stadt. Hans -Gerd Hennesen, Historiker am Deutschen Historischen Museum, befürchtet, daß der Bunker, eine „neonazistische Kultstätte“ werden könnte.

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