: Stadt mit Standortvorteilen am Bundestropf?
Das Berlinförderungsgesetz kommt in die Diskussion / Wissenschaftler: Abschaffen / SPD und Berliner Unternehmen: Alles beibehalten / AL: Alles ändern ■ Von Katja Rietzler
Mit der Öffnung der innerdeutschen Grenzen und der bevorstehenden Währungsunion ist Berlin nicht länger eine wirtschaftliche Insel. Die Grundlage der Berlinförderung, die Berliner Bürgern und Unternehmen jährlich knapp 10 Milliarden Mark an Steuerersparnissen bringt, ist damit hinfällig. Wird es diese Vergünstigungen also schon in ein paar Monaten nicht mehr geben? Bundesdeutsche Politiker argumentieren schon länger für ihre Abschaffung. Jetzt schließen sich auch Wirtschaftswissenschaftler der Forderung nach einer kurzfristigen Streichung der Berlinförderung an. Dagegen gibt es in West-Berlin jedoch erheblichen Widerstand. Denn dort hat man sich auf einen langen Übergangszeitraum eingerichtet.
Der Zigarettenhersteller Philip Morris hat im Vertrauen auf ein jahrelanges Weiterbestehen der Berlinförderung gerade erst 300 Millionen Mark investiert. „Vertrauensschutz für die Berliner Unternehmen“ ist auch bei der Berliner Industrie- und Handelskammer das Hauptargument. Auf die Frage, ob nicht Teile des Berlinförderungsgesetzes von der Entwicklung überholt wurden, will man sich nicht einlassen.
Die SPD-geführte Senatsverwaltung für Wirtschaft bangt so sehr um die Fördermittel, daß sie schon die bloße Diskussion über das Berlinförderungsgesetz als gefährlich ansieht. Änderungsvorschläge könnten Bonn einen willkommenen Anlaß zur Abschaffung der Förderung bieten. Der Koalitionspartner Alternative Liste hingegen sieht gerade in einer Änderung des Berlinfördergesetzes die einzige Möglichkeit, die Gelder in Berlin zu halten und hat ein Reformkonzept vorgelegt.
Die Berliner Ängste sind berechtigt. Denn das Ende der Berlinförderung ist für Bonner Politiker schon absehbar. „Berlin befindet sich heute nicht mehr in einer Insellage. Da müssen wir demnächst durchaus über Einsparungen bei der Berlinförderung nachdenken“, erklärte unlängst ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums.
Die isolierte Lage West-Berlins inmitten eines sozialistischen Wirtschaftssystems machte 1950 das Gesetz zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) nötig, das zum Ausgleich des Standortnachteils Lieferungen aus Berlin von der Umsatzsteuer befreite. Das Berlinhilfegesetz von 1964 brachte die vollständige Befreiung durch Erleichterungen, das derzeit gültige Berlinförderungsgesetz von 1978 brachte 1989 Umsatz- und Einkommenssteuererleichterungen von 9,5 Milliarden Mark. Diese Vergünstigungen haben die Wirtschaftswissenschaftler Joachim Jäckle und Andreas Burger jetzt im neuesten Wirtschaftsdienst des HWWA-Instituts für überflüssig erklärt. Im Gegensatz zu Berliner Unternehmern hält Jäckle eine Übergangsphase von „ein paar Monaten bis zu einem halben Jahr“ bei der Abschaffung der Berlinförderung für ausreichend.
Hauptkritikpunkt dieser Berlin-Experten von der Universität Freiburg ist die Umsatzsteuervergünstigung für Berliner Produzenten, die sogenannte Herstellerpräferenz. Bisher kann der Berliner Lieferant je nachdem, welchen Anteil seiner Produktion er in Berlin durchführt, bis zu zehn Prozent seiner Einnahmen von der Umsatzsteuer absetzen. Um drei Prozent seiner Einnahmen darf er seine Steuern sogar dann noch vermindern, wenn seine Berliner Wertschöpfung unter 15 Prozent des Umsatzes liegt. Ursprünglich sollten diese Steuerminderungen die weiten Transportwege ausgleichen. Ganz abgesehen von der Förderung von Betrieben mit einer geringen Wertschöpfung in Berlin, die auch die Alternative Liste bemängelt, sind diese Regelungen wegen der neuentstehenden Märkte in der DDR jedoch kaum mehr nötig. Die Freiburger Volkswirte sehen in der Herstellerpräferenz zudem eine Benachteiligung von Lieferanten aus der DDR, die dort die wirtschaftliche Entwicklung bremsen könnte.
Ähnlich beurteilen sie die Abnehmerpräferenz, eine Umsatzsteuerminderung von 4,5 Prozent des Kaufpreises für westdeutsche Abnehmer von Berliner Produkten. Die Nachfrage von DDR-Bürgern nach Konsumgütern habe sich bereits rege entwickelt. So könne man zumindest in diesem Bereich die westdeutschen Abnehmer nicht mehr mit der Begründung begünstigen, daß den Berliner Produzenten die Absatzmärkte vor der Haustür fehlten. Die Währungsunion wird darüber hinaus für zusätzliche Nachfrage aus dem Umland auch nach Investitionsgütern sorgen. Der enorme Rückstand der DDR -Wirtschaft wird ohnehin Investitionen in Milliardenhöhe nötig machen.
Eine Abschaffung der Abnehmerpräferenz fordert auch die Alternative Liste. Die Öko-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hält dabei jedoch eine Übergangsfrist von fünf Jahren für unumgänglich, um die Arbeitsplätze in der besonders betroffenen Genußmittelindustrie nicht zu gefährden. Die freiwerdenden Mittel sollen in einen Strukturfonds fließen, der neue Technologien und eine engere Verflechtung Berlins mit dem Umland fördern soll. Die erhöhte Abschreibung von Wirtschaftsgütern, Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäusern sowie Eigentumswohnungen will die AL zugunsten eines Öko-Fonds völlig streichen.
Damit will die AL die Berlinförderung gleichzeitig als Topf nutzen, aus dem ein Schwerpunktbereich der Partei mitfinanziert werden soll. Ein Öko-Fonds ist schließlich keine berlinspezifische Notwendigkeit. Auch mit dem Vorschlag, die Arbeitnehmerzulagen auf 4.800 Mark jährlich zu begrenzen, geht es der AL wohl eher um eine Einkommensumverteilung als um die Aktualisierung der Berlinförderung. Denn die Insellage und der Mangel an Naherholungsmöglichkeiten, mit denen die Zulagen hauptsächlich begründet wurden, gehören der Vergangenheit an. Warum sollte ein Arbeitnehmer also weiterhin acht Prozent seines Bruttolohnes sowie monatlich 49,50 Mark je Kind erhalten, nur weil er in West-Berlin wohnt und nicht in Hamburg? Die Angst vor einem Arbeitskräftemangel in Berlin, die ein Beweggrund des Berlinförderungsgesetzes war, ist angesichts der vielen Übersiedler kaum noch begründet. Jäckle und Burger befürworten deshalb im Gegensatz zur AL die sofortige Streichung der Arbeitnehmerzulagen.
Mit ihrer Analyse sprechen die Ökonomen einigen Bundesländern aus der Seele, die schon länger an der Berlinförderung rütteln. „Es gilt, Subventionen, die von einem Standortnachteil für Berlin ausgehen, schrittweise abzubauen“, fordert der baden-württembergische Finanzminister Guntram Palm stellvertretend für einige Kollegen. „Die Stadt wird in Zukunft nicht Standortnachteile, sondern Vorteile haben.“
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