: Die Arglosen und die - Bauernfänger
■ Erste Ost-West-Verbraucherzentrale berät kapitalismusgeschädigte Ostler / Aldi oder Feinkostladen: Wo kauft man am besten Erdbeeren?
Nepper, Schlepper und Bauernfänger haben seit der Öffnung der Grenze Hochkonjunktur. Zielscheibe ihrer Machenschaften sind DDR-Bürger, die den Betrügern und schlitzohrigen Händlern oft ohne große Mühe ins Netz gehen. „Leider hatte ich überhaupt keine Ahnung, was freie Marktwirtschaft bedeutet, und bin beim Kauf eines gebrauchten Fernsehers hereingefallen“, heißt es in dem Brief einer DDR-Bürgerin an die Westberliner Verbraucherzentrale. Um den Besuchern aus dem Osten solche Einkaufserfahrungen zu ersparen, bieten die Verbraucherzentrale in West-Berlin und das neugegründete Verbraucherzentrum in Ost-Berlin seit drei Wochen eine gemeinsame Beratung für DDR-Bürger an.
Die Unkenntnis der DDR-Besucher bei Kaufverträgen und Verbraucherrecht wird oft schamlos ausgenutzt. „So wird ihnen beim Kauf von elektronischen Geräten die sechsmonatige Garantie unterschlagen, die Mehrwertsteuer doppelt berechnet, und bei gerechtfertigten Reparaturansprüchen funktioniert manchmal auch die Verzögerungstaktik der Händler“, sagt Thorsten Piepgras von der Westberliner Verbraucherzentrale. Ein DDR-Bürger berichtet von der Reparatur seines defekten Radiorecorders in einem Westberliner Geschäft. Um das Gerät abzuholen, habe er viermal anreisen müssen. Jetzt wolle er sich über seine Rechte informieren. Die DDR-Bürger fühlen sich jedoch nicht nur im Westen „übers Ohr gehauen“, wie ein Ratsuchender bei der Verbraucherzentrale klagte. „Mit der Einführung der Marktwirtschaft in der DDR wird der Waren- und Dienstleistungsmarkt immer undurchsichtiger“, beschreibt ein Sprecher des Verbraucherzentrums in Ost-Berlin die Situation. So sind unter den westlichen Firmen auch einige schwarze Schafe: Ein Reisebüro aus Bayern warb mit einer Spanienreise für 1.500 Mark. Gegen Vorauszahlung wurde die Zusendung der Unterlagen versprochen, aber statt der Reise in den Süden wurde lediglich der Geldbeutel um 1.500 Mark erleichtert - das Unternehmen entpuppte sich als Schwindelfirma. „Wir stoßen in den Zeitungen immer wieder auf dubiose Anzeigen, die speziell auf DDR-Bürger abzielen“, sagt Thea Brünner aus der Westberliner Verbraucherzentrale. Einer der Schwerpunkte der Zusammenarbeit mit dem Verbraucherzentrum sei deshalb der gemeinsame Verbraucherschutz gegen unlauteren Wettbewerb.
Außer den zahlreichen Klagen, die täglich bei der Verbraucherzentrale eingehen, erhalten die Mitarbeiter Anfragen aller Art. So bittet ein DDR-Bürger um den Namen eines Geschäfts in West-Berlin, wo er eine Kamera für unter 1.500 DM erstehen kann. „Solche Anfragen können wir nicht erfüllen“, sagt Frau Brünner. Vielen Besuchern aus der DDR sei nicht bewußt, daß Einkaufen im Westen auch Mühe macht, daß man Preise vergleichen muß, beschreibt Piepgras das Kaufverhalten der DDR-Bürger. Sie seien an Preisbindung gewöhnt und wundern sich über die Preisunterschiede von identischen Markenprodukten in verschiedenen Geschäften. Ein Westdeutscher wisse, daß er für die Erdbeeren im Delikatessenladen mehr bezahlen muß als im Supermarkt, aber für einen DDR-Bürger sei das eben nicht selbstverständlich.
dpa
Verbraucherzentrale Ost-Berlin beim Amt für Standardisierung, Meßwesen und Warenprüfung, Berlin 1162, Fürstenwalder Damm 388, Telefon 6441277.
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