: Arbeitsverbot für Untersuchungsausschuß
■ Nach Veröffentlichung über Internierungslager soll die Volkspolizei das Stasi-Gebäude in Erfurt übernehmen
Berlin (dpa/afp/taz) - Kaum hatte der unabhängige Untersuchungsausschuß Pläne der ehemaligen Staatssicherheit im Bezirk Erfurt über die Internierung Andersdenkender veröffentlicht, erhielten seine Mitglieder wegen „unbefugter Akteneinsicht“ quasi ein Arbeitsverbot. Das Stasi-Gebäude soll an diesem Freitag in die Obhut der Volkspolizei übergehen. Das agile Bürgerkomitee hatte mit seinen Informationen, unter anderem auch über ehemalige Stasi -Mitarbeiter unter den Kandidaten zu den Volkskammerwahlen, die interessierte Öffentlichkeit aufgeschreckt.
Wie der Untersuchungsauschuß am Mittwoch berichtete, wollte die Stasi im „Krisenfall“ bekannte Oppositionelle und Andersdenkende in mindestens 24 vorbereiteten Internierungslagern einsperren. Das geht aus Dokumenten hervor, die der Ausschuß der in Auszügen aus Stasi-Akten der Jahre 1987 und 1989 vorlegte. Zu den potentiellen Lagerinsassen zählten „Staatsfeinde“ sowie Mitarbeiter aus Friedens-, Kirchen- und Umweltgruppen. Der Sprecher der Erfurter Kommission, Matthias Büchner, teilte mit, er und seine Mitarbeiter hätten vorbereitete Flächen und Grundstücke entdeckt, auf denen sehr rasch Barackenlager hätten entstehen können.
Bichlers Angaben zufolge sollen unter den neugewählten Angeordneten der Volkskammer auch ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der Stasi sein, die mit der Führung von etwa 15 inoffiziellen Spitzeln betraut gewesen seien. Das Neue Forum in Zittau rief unterdessen zu einer landesweiten Unterschriftenaktion für die Überprüfung der Abgeordnteten an die Adresse der Volkskammer auf.
Boeden für Amnestie
In der Debatte um eine Amnestie für ehemalige Stasi -Mitarbeiter meldete sich am Donnerstag auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Gerhard Boeden, zu Wort. Er befürwortete eine Amnestie für seine Kollegen der ehemals anderen Seite. Lediglich diejenigen aus der Behörde, „die wirklich hautnah und konkret Unrecht gebegangen haben“, wollte er davon ausnehmen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sprach sich ebenfalls erneut für eine großzügige Amnestie aus. Darüberhinaus gab er bekannt, daß das eigentlich aufgelöste Ministerium für Staatssicherheit seine Abhöraktivitäten in der BRD auch nach den Wahlen in einem bislang nicht vermuteten Umfang fortgesetzt habe. Die so zustande gekommenen Akten würden, wenn sie in der BRD tauchten, ohne Einsichtnahme vernichtet werden.
Bundeskanzler Helmut Kohl ließ es sich nicht nehmen, gleichfalls für die große Allianz für eine Stasi-Amnestie in die Bütt zu steigen. Es habe vermutlich 100.000 Stasi -Mitarbeiter gegeben, die mindestens zehnmal soviele Menschen erpreßt und erniedrigt hätten. „Wir müssen nicht nur damit leben, sondern wir müssen mit vielen Menschen reden und auch einen Aufbauprozeß in den Seelen der Menschen angehen“, predigte der Kanzler.
Eine Variante besonderer Art ließ sich der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Jürgen Rüttgers, einfallen: Er forderte lediglich die PDS-Abgeordenten auf, ihr Verhältnis zur Stasi „unverzüglich“ offenzulegen. Sie sollten auch klarstellen, ob es eine interne Anweisung aus dem PDS-Vorstand gebe, nach der politische Gegner mit fingierten oder präparierten Dokumenten beziehungsweise „offenen Briefen“ gezielt diffamiert werden sollten.
Damit bezog er sich offenbar auf einen Bericht der 'FAZ‘, in der es gestern hieß, die PDS plane eine Kampagne zur Demontage politischer Gegner durch gezielte Veröffentlichungen über eine Zusammenarbeit mit der Stasi, die auch fingiert oder präpariert sein könnten. Das gehe aus einer internen Anweisung aus dem (100köpfigen!) PDS-Vorstand in Ost-Berlin hervor, der nach den Volkskammerwahlen verabschiedet worden sei. Nach Ansicht eines frustrierten „führenden Parteimitglieds auf mittlerer Ebene“ ziele diese Kampagne darauf ab, den Regierungsbildungsprozeß zu verlangsamen, die Vereinigung beider deutscher Staaten zu bremsen und die für den 6. Mai geplanten Kommunalwahlen zu torpedieren. Diese krude anmutende Darstellung animierte die Allianz für eine Stasi-Amnestie in Person Schäubles denn auch promt zu der Erklärung, Berichte über Stasi-Mitarbeiter in der Volkskammer gingen von der ehemaligen Staatssicherheit selbst aus. Die PDS hat die Existenz der in der 'FAZ‘ erwähnten Anweisung dementiert.
bs
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