: Asylbewerber im Behördendickicht
Der NRW-Kreis Höxter will einen abgelehnten Asylbewerber abschieben / Bielefeld will dem Bangladeshi Aufenthalt gewähren / Absurder Stellvertreterstreit mit ungewissem Ausgang / Petitionsausschuß des Landtages hat letztes Wort ■ Von Bettina Markmeyer
Bielefeld (taz) - Es kommt nicht oft vor in diesem reichen Land: Ein Flüchtling erfährt jede erdenkliche Unterstützung. Er wird aufgenommen, akzeptiert und geschätzt. Er fühlt sich zu Hause und hat triftige Gründe, nicht in sein Heimatland zurückzugehen. Er hat einen Ausbildungsplatz, eine Wohnung und kostet den Staat keinen Pfennig. Die Stadt, in der er leben will, würde ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Aber es gibt einen juristischen Streit darum, ob sie zuständig ist. Bis zu dessen Ende ist eine Behörde zuständig, die in der Abschiebung des abgelehnten Asylbewerbers ein „gewichtiges Interesse der Bundesrepublik Deutschland“ sieht.
Zafor Ahsan floh im August 1986 aus Bangladesh. Nachdem er Asyl beantragt hatte, wurde er einem kleinen Ort im nordrhein-westfälischen Kreis Höxter zugewiesen. Dort lebt Ashan jetzt fast vier Jahre bei einer Familie, die er kennenlernte, weil er in ihrem Lebensmittelgeschäft einkaufte. Noch während sein Asylverfahren lief, nahm die Familie ihn auf. Sie behandelte ihn, so Ahsan, „wie einen Sohn“. Ahsan kümmerte sich um den schwerkranken Mann, gelegentlich stand er auch in dem Laden und half der Frau. Seine neuen „Eltern“ sammelten Unterschriften und schrieben Briefe an den Innenminister.
Inzwischen hat der 26jährige einen Ausbildungsplatz am Bielefelder Oberstufenkolleg (OS) und die Zusicherung der neuen Familie, daß sie alle Ausbildungs- und Unterhaltskosten tragen werde. Und er hat Pläne: Er will später in der Computerbranche arbeiten. Das Kolleg hat sich mit ihm solidarisiert. Spontan hielten MitschülerInnen einen Kurs zu Asyl- und Flüchtlingsfragen ab und mobilisierten die ganze Schule zur Unterstützung von Ahsan. Am Mittwoch protestierten LehrerInnen und 150 KollegiatInnen des OS vor dem Düsseldorfer Landtag gegen die drohende Abschiebung und verhandelten mit Landtagsabgeordneten aus dem Petitionsausschuß. Der Bielefelder Flüchtlingsrat unterstützt Ahsan seit zwei Jahren bei seinem Weg durch den bundesdeutschen Behördendschungel.
Doch gegen sich hat Ahsan die Ausländerbehörde des Kreises Höxter. Und die will ihn abschieben. Andernfalls „würde der ohnehin gegebene Anreiz, das Asylrecht zu wirtschaftlichen Zwecken zu mißbrauchen, nur noch erhöht“. So steht's in der Begründung, mit der die Behörde im November 1988 ihre Absicht kundtat, Ahsans Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis abzulehnen.
Als Student hatte Ahsan in Dhakar an verschiedenen Demonstrationen teilgenommen und war als Mitglied der Oppositionspartei BNP (Bangladesh Nationalist Party) wegen seiner Aktivitäten gegen die Militärregierung mehrfach inhaftiert und gefoltert worden. Sein Asylantrag wurde Ende 1987, wie das Begehren fast aller Flüchtlinge aus Bangladesh, als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Gerichte bestätigten die Entscheidung. Ahsan, der in seiner Heimat nach wie vor per Haftbefehl gesucht wird und bei einer Abschiebung mit einer erneuten Verhaftung „direkt am Flughafen“ rechnen muß, wandte sich an den Petitionsausschuß des nordrhein-westfälischen Landtags.
Unabhängig von seiner Ablehnung als Asylbewerber erfüllt der 26jährige jedoch alle Voraussetzungen, von deutschen Sprachkenntnissen bis hin zu den Unterhaltszahlungen seiner Pflegeeltern, um als ausländischer Student eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Der Bielefelder Stadtdirektor und Leiter der Ausländerbehörde, Jürgen Heinrich, bat deshalb den Oberkreisdirektor in Höxter, die Zuständigkeit für den bangladeshischen Flüchtling auf Bielefeld zu übertragen. Doch Höxter, bekannt für einen ruppigen Umgang mit AusländerInnen, wollte von dem Fall nicht lassen. Ahsans Aufenthalt in Bielefeld sei illegal, die Behörde im Lippischen sei für ihn bis zum Tag seiner Ausreise zuständig. Man berief sich auf ein entsprechendes Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Münster. Dasselbe Urteil wurde von Bielefeld gegenteilig ausgelegt, doch der Stadt waren die Hände gebunden.
Denn das nordrhein-westfälische Innenministerium, das im letzten Jahr für den Petitionsausschuß zum Fall Ahsan Stellung nehmen mußte, schloß sich der Haltung von Höxter an. Daß Innenminister Herbert Schnoor in einem Schreiben an die NRW-Regierungspräsidenten Anfang dieses Jahres seine Auffassung geändert und sich der Bielefelder Interpretation angenähert hat, spielt nun jedoch keine Rolle mehr. Das behördliche Gezerre um Ahsan hat sich inzwischen an einem anderen Punkt festgehakt. Man will ihm, so der einen Präzedenzfall befürchtende Innenminister, kein Studienvisum erteilen, weil das OS keine den Universitäten und Fachhochschulen vergleichbare Einrichtung sei. Eine Auffassung, der die Stadt Bielefeld und die Leitung des Kollegs - einer in NRW einmaligen Versuchsschule, die Abitur und Grundstudium miteinander verbindet - heftig und mit guten rechtlichen Argumenten widersprechen.
Zafor Ahsan muß der Streit um Zuständigkeiten und den Status seines Kollegs, den er mit seinem Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung ausgelöst hat, so absurd wie bedrohlich vorkommen. Ein Stellvertreterstreit, in dem es nur darum geht, wie restriktiv Asyl- und Ausländerrecht gehandhabt werden. Der in Flüchtlingsfragen vielerorts als liberal geltende Innenminister ist in Deckung gegangen. Ahsan richtet seine Hoffnungen jetzt auf den Petitionsauschuß. In Gesprächen mit protestierenden SchülerInnen am Mittwoch zeigten sich die SPD -Landtagsabgeordneten informiert und offen. Mehrere, darunter auch der 2.Vorsitzende des Ausschusses, haben sich bereits bei Innenminister Schnoor für den Flüchtling eingesetzt. Der Ausschuß kann humanitäre Gesichtspunkte geltend machen: Ahsans Geschichte eben. Doch ob sie gut ausgehen wird, ist fraglich.
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