Therapeutisches DeutschInnengewurzel

■ „Blick zurück“: Die deutsche EichIn auf der Suche nach ihrer seelischen Ganzheit in Mutters verlorener Heimat

Larmoyanz, gepaart mit heimatgemachter Beschränktheit - vor dieser Mischung rette sich, wer seine HirnInnenzellen noch beisammen hat. Wenn deutsche „ErbInnen der VorfahrInnen“ das seelenvolle, wurzelsehnsüchtige Wort auf jene Art ergreifen, wie es die Dipl. Psychologin/Psychotherapeutin Birgit Lindberg am Mittwoch tat, kann einem nur noch himmelangst werden: vor

kopflosen Bauchrednerinnen, für die der Faschismus zum Psycho-Vehikel wird, ihr kostbares Selbst samt Identität zu finden.

Auf Mutters heimatvertriebenen Spuren ist Birgit Lindberg ins Estnische gereist, nach Tallinn, um herauszufinden, woher „meine Gebrochenheit, mein Gefühl von Heimatlosigkeit“ kommt. Denn das deutschbaltische, von Hitler damals ins

„frischbesetzte Polen“ umgesiedelte Mütterlein hat schon der kleinen Birgit erzählt von der Weite „der alten Heimat“ und von dem Gefühl, „wie ein Baum zu sein, dem man die Wurzeln zerschnitten hat“. Diese Zerstörung ihres Wurzelwerks hat zwar die Mutter nicht daran gehindert, bis zum Schluß glühende Nationalsozialistin und „Mädelführerin“ zu sein, doch zum Glück hat die Verstorbene nun eine nachgeborene Tochter, die feministischerweise auf Versöhnung sinnt. Und so hat die große Birgit also die Rück-Reise in Mutters Kinderparadies angetreten und hat dort emsig Dias angefertigt, die vielleicht grade noch auf einem Lindbergschen Familienabend mit Erdnüssen und Zierdeckchen unterm Bierglas erträglich wären - in einer Öffentlichkeit wird dieser schnappgeschossene Lichtbildervortrag und dieses heimatsäuslige Geleier („nach ihrem Volk verlor meine Mutter auch ihre Heimat“) zum beschämenden Zeugnis einer teutonischen Nabelschau. Einer Nabelschau, die ekelerregend ist, weil sie geschwätzig auf das Recht aufs eigene Leid pocht und für „die ErbInnen der VorfahrInnen“ eine psychische „Ganzheit“ reklamiert, die es nirgendwo in der Welt mehr geben kann. Nur die ErbInnen der deutschen VandalInnen, der MörderInnen, der ZerstörerInnen können sich in diesem obszönen, nach Innen gewandten Grübeln suhlen, das zwischen Diavortrag und Workshop das Heil in der gesunden Seele

sucht.

Aber wie das unter Feministinnen nun mal so ist: Wenn ihresgleichen so blindlings in die Gegend quatscht wie Birgit Lindberg („mir ist früher mal ein Gefühl von Heimatlosigkeit aufgefallen, weil ich meine Gegend nicht so gut gekannt habe und mich irgendwie unverbunden mit dem Landstrich fühlte. Der Zauber der alten Heimat meiner Mutter wirkte auch in mir“) - wenn also eine so stumpfsinnig daherquatscht, regt sich im Auditorium allenfalls „solidarische Kritik“ oder die Sorge, „jetzt vielleicht überkritisch zu sein“. Frau geht mit Frau eben schonend um dafür übrigens umso schonungsloser mit der Sprache: „in's Opferding gehen“ will frau in der Diskussion. Deshalb kommt es schon einem Wunder gleich, wenn eine Frau etwas unmutig darauf besteht, ihre Identität nicht „in der Heimat“ und „der Familie“ zu suchen, sondern anderswo. Oder wenn eine „ein Unbehagen“ formuliert daran, daß „wir uns hier mit uns als Opfer beschäftigen, und das ist nicht angemessen gegenüber den wirklichen Opfern des Faschismus.“ Dazu lächelt Birgit Lindberg, durch ihre schmerzhafte Wurzelbehandlung überlegen, nur schweigend vor sich hin. Aber sie hat eben sonst, leider, leider, zu viel geredet, sich sozusagen aus dem Bauch unter dem Kopf hindurch um den Kragen herumgeredet und damit verraten, wes Ungeistes Kind sie ist: Daß sie mehrmals die Formulierung „heim ins Reich“ gebrauchte, ganz selbstverständlich und distanzlos, war katastrophal genug. Aber den Atem hat es mir verschlagen, als eine Teilnehmerin monierte, die Referentin habe sich auf ihrer Reise nach Tallinn anscheinend gar nicht da

für interessiert, was aus der jüdischen Gemeinde geworden wäre. „Ja also“, stotterte Birgit Lindberg, die unselige ErbIn ihrer Mädelschaftsführerin-Mutter, „als meine Mutter dort noch lebte, lebten ja auch die Juden noch. Estland wurde ja erst später judenfrei gemacht.“ So, einfach so ist es aus diesem Mund herausgeschlüpft. Und wenn sie auch schon gestorben sind, die MädelschaftsführerInnen, dann leben sie doch unter der Schwelle des ErbInnen-Bewußtseins fort.

Sybille Simon-Zülch