: PDS, Stasi-Amnestie und die bundesdeutschen Grünen
Der Flirt mit der SED-Nachfolgerin ist eine Mißachtung der Bürgerrechtsbewegung und entspricht der Logik der Verdrängung von Geschichte in Deutschland ■ D E B A T T E
Wer heute über deutsche-deutsche Oppositionskonferenzen redet und die PDS zur Opposition zählt, wer Bündnisse mit der PDS für wünschenswert und die Zusammenarbeit mit dieser Partei für wahrscheinlich hält, mag dies im Gespensterparadies rund um den 'Arbeiterkampf‘ und andere Hamburger Blätter tun. Die Grüne Partei steht für so ein Projekt nicht zur Verfügung. Das erotische Verhältnis zur PDS ist nicht neu, sondern bestand verschämt schon zur SED. Aber die PDS ist auch im neuen Kleid nicht bündnisfähig. Sie ist keine neue Partei, sondern der Wurmfortsatz der alten. Nicht umsonst ist eine Auflösung der SED ausdrücklich abgelehnt worden.
Die PDS ist der alte Apparat der SED. Dieser Apparat durchsetzt die Verwaltung und die Machthierarchien. Dieser Apparat hat die Staatssicherheit hervorgebracht. Die SED hat eine Gesellschaft ver-rückt gemacht; die Lüge war schon in der Verfassung miteingebaut. Die Lüge war überall, morgens, wenn die SED-Minister eine Straße entlanggefahren wurden, wo die Häuserfassaden bunt waren und keine Menschenschlangen vor den Geschäften warteten. Das Double-bind-Syndrom fand sich im Recht auf Arbeit, das ein Zwang zur Arbeit war. Ein irrationales Produktionssystem, das die Arbeitsteilung und Arbeitshierarchie extrem vorangetrieben hat, verletzte die Würde von Frauen und Männern täglich. Frauen wurden zum Beispiel in der industrialisierten Landwirtschaft auf die Wagen verladen und arbeiteten im Baumschnitt, ohne je einen dieser Bäume im Frühjahr blühen zu sehen und im Herbst abernten zu können. Männer hatten es da schon wieder etwas besser; sie hatten die großen Maschinen, mit denen sie spielen und protzen konnten, die Traktoren also. (Lesenswert in diesem Zusammenhang sind die Protokolle von Gabriele Eckart, So seh‘ ick die Sache, über die Obstplantagen im Havelland.)
Diejenigen, die heute der Rettung der sozialen Errungenschaften der DDR das Wort reden, haben dieses Recht auf Arbeit, dem spiegelbildlich der Zwang entsprach, im Visier. Auch die staatliche Kinderbetreuung ist nicht einfach eine „Errungenschaft“, war doch deren Schattenseite unübersehbar: die Entsorgung der Kinder aus dem Tagesleben und ihre triste Indoktrination mit dem Lügengewebe des SED -Staates.
Zudem waren alle staatlichen Leistungen und das private Leben an eine schreckliche, alles durchziehende Identität von Individuum und Staat angekoppelt. „Die Familie ist die kleinste Zelle der Gesellschaft“, heißt es im Familiengesetzbuch der DDR. „Aus der Ehe soll eine Familie erwachsen“, verpflichtet sodann § 5 desselben Gesetzbuches. Die Eltern hatten die Kinder „zur sozialistischen Einstellung, zum Lernen und zur Arbeit, zur Achtung vor den arbeitenden Menschen, zur Einhaltung der Regeln des sozialistischen Zusammenlebens“ usw. zu erziehen (§ 42 des Familiengesetzbuches). Auch das Ende einer Ehe war gesetzlich mit den Worten: „Eine Ehe (darf) nur geschieden werden, wenn das Gericht festgestellt hat, ...daß diese Ehe ihren Sinn für die Ehegatten und damit auch für die Gesellschaft verloren hat.“
Diese staatlich oktroyierte Identität von Individuum und Gesellschaft kannte keine Freiheit des Privaten. Wenn dies alles vergessen wird, so mißachten diejenigen, denen die PDS so liebenswert erscheint, die Menschen, insbesondere die Bürgerrechts- und Umweltbewegung in der DDR, die lange Zeit praktisch im Untergrund gegen das ver-rückte System kämpften.
Gerade das ökologische Desaster wird aber zu dem großen Thema der Menschen in der DDR in der nächsten Zeit werden.
Es gibt bei dieser PDS-Sturzgeburt aus der alten SED eine Parallele zu Kohl: Auch er will am liebsten von hier aus schnell eine Amnestie für die Stasis verkünden, ohne daß auch nur die Voraussetzungen dafür geklärt sind, wer eine solche Amnestie aussprechen kann. Beladen mit der eigenen Unversöhnlichkeit gegenüber den Häftlingen der RAF, will Kohl die DDR um die Aufarbeitung ihrer Geschichte bringen.
Amnestie heißt Straffreiheit, setzt also Straftaten voraus. Die DDR hat es aber noch mit einer Verfassung und einem Strafrecht zu tun, wo die Staatssicherheit als tragende Stütze vorausgesetzt ist.
Amnestieren kann nur, wer selbst nicht Stasi-Agent oder Stasi-Mitläufer war. Es darf nicht sein, daß Stasis über die Amnestie von Stasis entscheiden. Die Voraussetzung für einen Neuanfang liegt also bei der Volkskammer, sowohl was ihre personelle Zusammensetzung betrifft als auch was eine neue verfassungsmäßige Grundlage angeht. Erst auf dieser Grundlage kann die offene Debatte und damit auch Versöhnung geschehen. Wer wie Kohl die Amnestie jetzt und die Bestrafung der wahren Kriminellen fordert, will der DDR die Fehler unserer Nachkriegszeit, unsere trauerunfähigen Väter und Mütter überstülpen.
Es ist ja bereits fraglich, ob es objektive Kriterien bei der Verurteilung der „wahren Kriminellen“ gibt. Hannah Arendt hat darauf hingewiesen, daß die Entnazifizierung von Nachkriegsdeutschland unter anderem an diesem Versuch der objektiven Kriterien für Nazi-Verbrecher gescheitert ist. Das breite Mittelfeld derjenigen, die das Nazi-Regime stramm gestützt hatten, konnte deshalb die Schlüsselpositionen wieder einnehmen. Wir wissen auch seit Barschel und Schnur, daß Ehrenerklärungen nicht zur Wahrheit anhalten. Dies hat seinen Grund darin, daß Angeklagte bei uns, im Unterschied zur angelsächsischen Rechtstradition, das Recht zur Lüge haben. Sie werden nicht als Beweismittel vernommen.
Gegenüber einem Bundeskanzler, der glaubt, er regiere schon in der DDR, und aus ganz prinzipiellen Gründen hat Antje Vollmer recht, wenn sie sagt, die Aufarbeitung von Stasi -Aktivitäten gehöre in die Hände der DDR-Bevölkerung.
Entscheidend ist hier gegenwärtig, ob die Zusammensetzung der neugewählten Volkskammer wirklich ein Neuanfang ist oder nicht. Die neue Fraktion aus Bündnis 90 und Grüner Partei in der DDR hat daher völlig recht und unsere Unterstützung, wenn sie hier Aufklärung verlangt.
Ohne diese Aufklärung und ohne neue verfassungsmäßige Grundlage, die nach Absicht des Runden Tisches und unserer Meinung von der DDR selbst erarbeitet und beschlossen werden soll, sind die Voraussetzungen für Aufarbeitung und Versöhnung nicht da. Erstaunlich ist es nicht, daß sich die PDS im Verein mit der CDU-Ost und -West gegen solche Aufklärung sperrt.
Birgit Laubach, Waltraud Schoppe
Birgit Laubach ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bundestagsfraktion der Grünen; Waltraud Schoppe ist Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen.
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