: Comeback der DDR-Opposition?
Demonstrationen für die Aufarbeitung der Vergangenheit ■ K O M M E N T A R E
Die große Koalition der Verdränger in Ost-Berlin und die skrupellosen Pragmatiker in Bonn haben die Hoffnung schnell zunichte gemacht, in Deutschland könne einmal anders mit belastender Geschichte verfahren werden als nach 1945. Doch immerhin hat die Unverfrorenheit, mit der die Agenten von gestern in Schlüsselpositionen belassen oder in neue gehievt werden sollen, einen unerwarteten Effekt: Diejenigen, die den Umbruch in der DDR lostraten, der sie am Ende selbst marginalisiert hat, sind wieder auf der Straße. Die Demonstrationen in Berlin, Leipzig, Gera und Erfurt können zwar nicht über die Defensive hinwegtäuschen, in die die alt -neue Opposition seit dem 18.März geraten ist. Aber sie korrigieren die Vorstellung, die materiell unterfütterte Einheitlust sei der einzig politische Restimpuls des Umbruchs geblieben. Die Kundgebungen erinnern nicht zufällig an den Beginn des Umbruchs, denn der Stasi-Konflikt rührt am Kern der Revolution. Diejenigen, die - lange vor der Wende zu Objekten der Staatssicherheit degradiert wurden, sehen ihre Demokratievorstellungen jetzt reduziert auf ein Parlament, in dem auch die Spitzel von einst über die Zukunft des Landes mitentscheiden sollen. Selbst wenn sich die Fraktionen der Volkskammer unter dem öffentlichen Druck auf eine parlamentarische Überprüfungskommission geeinigt haben, gibt das ursprüngliche Vorhaben doch Aufschluß über den unverschämten Pragmatismus, der da zur Herrschaft gelangt. Entscheidend für den Umgang mit der Vergangenheit soll einzig die Effizienz für den Übergang sein. Moralische Kriterien, Konflikte um individuelle und kollektive Verantwortung sind kontraproduktiv; sie entmotivieren, ziehen Energien ab, stellen Leute kalt, die beim ohnehin schmerzhaften Übergang ins einig Vaterland dringend gebraucht werden. Der Deckel auf der Geschichte bedeutet Verdrängung als Produktivkraft. Auch hier liefert die Bundesrepublik mit ihren Nazi-Größen im Adenauer-Staat das Modell.
Daß sich neben den Bonner Mentoren mit PDS und CDU auch die alten Blockpartner in der Verdrängungskoalition wiederfinden, macht Sinn. Die PDS agiert als existentielle Schutzgemeinschaft für ihre belasteten Mitglieder. Die CDU will ihre rapide, vom Wähler honorierte Wende nicht im hoffnungslosen Verteidigungskampf gegen 40jährige Verstrickung gefährden. Versöhnung, die jetzt wohlfeil propagiert wird, reduziert sich für beide aufs bloße Machtkalkül. Die SPD findet sich unvermutet noch einmal auf der Seite der Opposition. Und diese Opposition kämpft um ihr moralisches Recht auf Aufarbeitung der Vergangenheit.
Matthias Geis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen