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Klopfen auf den Pappkarton

■ Das Pariser Rockmusik-Label New Rose feiert in diesem Jahr seinen zehnten Geburtstag

Thomas Bohnet

Aus den Hi-Fi-Boxen scheppert's wie seinerzeit in den sechziger Jahren. Kofferradiosound. Ein Gitarrist schrammelt vor sich hin, und im Hintergrund klopft einer auf einen Pappkarton und schlägt gegen ein Schlagzeugbecken. Der Sänger verlangt greinend: „Tell me, I'm the only one“ und heult ins Mikro: „I don't wanna have an ownership of you/I just wanna be your man.“ - Die Platte ist von 1989, entstanden im Wohnzimmer des Musikers, aufgenommen mit einem vorsintflutlichen Vier-Spur-Gerät. Mono - versteht sich. Im digitalisierten CD-Zeitalter ein höchst sympathischer Frevel. Der Titel der LP: Le beat group electrique. Der Musiker: Wreckless Eric. Seit zehn Jahren hat man von dem Briten, der einst die Teenieherzen mit dem Song Whole Wide World verzaubert hat, nichts mehr gehört. Damals zählte er zusammen mit Nick Lowe, Ian Dury und Elvis Costello zu der hoffnungsvollen Garde des britischen Stiff-Labels.

Wo anders als beim Pariser Label New Rose hätte der einst nicht nur in Punkkreisen geschätzte Musiker diese eigenwillige Comeback-Platte aufnehmen können?

„Unsere Politik war es immer, Platten zu veröffentlichen, die wir auch selber mit nach Hause nehmen würden.“ Patrik Mathe nimmt einen kräftigen Zug von seinem Zigarillo. Der korpulente 41jährige mit dem Schnauzbart und dem freundlichen Lachen ist einer der Mitbesitzer der Pariser Kleinfirma. Wir sitzen in seinem Büro in der Rue du General Leclerc, dem Hauptquartier des Labels, das er 1980 zusammen mit seinem Freund Louis Thevenon gegründet hat.

New Rose ist nicht nur der Titel eines Songs der britischen Punks „The Damned“, sondern seit zehn Jahren auch ein Markenzeichen, dessen Erwähnung jedem aufrechten Rock'n'Roller das Wasser im Munde zusammentreiben sollte. Über 200 LPs (zusammen mit den beiden Sub-Labels „Lively Art“ und „Fan Club“ sind es weit über 500 Titel) haben die Pariser in der vergangenen Dekade veröffentlicht, vorwiegend amerikanische Acts (bei Lively Art französische Bands), junge unbekannte Gruppen und altgediente, vergessene Rock'n'Roll-Heroes. Das Firmenlogo stand bzw. steht unter anderem für Musiker wie Johnny Thunders, Sky Saxon, Tav Falco, Chris Spedding und Alex Chilton. Bands wie die Camps, Gun Club, Lyres oder Blood on the saddle wurden inzwischen dem europäischen Publikum via New Rose bekannt gemacht. Ein wohlklingender Name in den Ohren von Freunden guten Gitarrenrocks: die australischen Saints. Mit deren Mini-LP Paralytic Tonight - Dublin Tomorrow begann alles im Jahre 1980...

Inspiriert vom Punk in England und der damit verbundenen Gründerphase vieler kleiner Independentfirmen (von den großen Plattenfirmen „unabhängige“ Labels), starteten die beiden ehemaligen Mitarbeiter von „Music Box“, dem ersten Punkladen in Paris, im Frühjahr ihr eigenes Geschäft. Die Idee eines eigenen Labels im Kopf (viele britische „Indies“ wie etwa Rough Trade erwuchsen aus Schallplattenläden) verkauften Patrik und Louis zuerst in der Rue Pierre Sarrazin, Nummer7, (noch heute einer der bestsortierten Läden in der Hauptstadt) Platten, zumeist britische New-Wave - und Punk-Importe.

Das Zusammentreffen mit Chris Bailey, dem plattenvertragslosen Sänger der Saints, ließ den Wunsch vom eigenen Label schon ein halbes Jahr später in Erfüllung gehen. Bailey & Co. wurden 1979, nach drei erfolglosen Alben (Klassiker!) von ihrer damaligen Firma, dem Multi EMI, gefeuert. Über Bailey war in britischen Musikzeitungen zu lesen, er hänge in London herum und spiele dort für ein paar Schillinge in den U-Bahnhöfen. „Ich war selber ein großer Saints-Fan“, erzählt Patrik Mathe. „Und als ich das gelesen habe, dachte ich mir: Es ist eine Schande, daß solch ein großer Musiker keine Platten mehr macht.“ Über einen britischen Musikjournalisten nahm er Kontakt mit den Saints auf.

Der erwähnten Mini-LP folgten später die eigens für New Rose eingespielte LP Monkey Puzzle sowie in den nächsten Monaten Alben des amerikanischen Eigenbrödlers Willie „Loco“ Alexander, der französischen Band mit dem verheißungsvollen Namen „Charles de Goal“ und des exzentrischen Rock'n'Rollers Johnny Thunders. Dazu die erste LP des Gun Clubs (Fire of love) der legendären L.A.-Formation um Jeffrey Lee Pierce. Die Veröffentlichung dieser Platte führt das Pariser Label einen Schritt weiter. Als sich RCA, damaliger Vertriebspartner des Gun Club, weigert, diese LP zu veröffentlichen, macht New Rose eben einen eigenen Vertrieb auf.

New Rose ist aber nicht nur wegen ihres Gespürs für junge amerikanische Bands von Interesse - neben dem Gun Club unter anderem die geschätzten Desertrocker Giant Sand, die kalifornischen True West oder, jüngeres Beispiel, die Chicagoer Eleventh Dream Day - sondern auch und vor allem, weil sich Mathe und Thevenon der „alten“, fast schon vergessenen Helden des Rock'n'Roll angenommen haben: Ob die 60er-Chaos-Polit-Combo The Fugs um Ed Sanders und Tuli Kupferberg, Biker Bo Diddley, die Troggs, Roky Erikson (einst bei den 13th Floor Elevators), Elliot Murphy oder Alex Chilton, dessen Hit aus jungen Jahren, The letter, mit der Eröffnungszeile „Give me a ticket for an aeroplane“ selbst den an Musik nur marginal Interessierten im Ohr klingen sollte - sie alle versuchten über New Rose einen neuen Anlauf...

„Ich habe in den sechziger Jahren angefangen, Musik zu hören“, meint Patrik. „Davon habe ich mich nie ganz gelöst. Viele der Künstler, die heute auf unserem Label sind, habe ich schon als Schüler verehrt. Bo Diddley, Alex Chilton oder die Troggs - das waren Idole für mich. Durch die Zusammenarbeit mit diesen Leuten, die ich auch menschlich sehr schätze, ist für mich 20 Jahre später, ein Traum in Erfüllung gegangen.“

Viele der erwähnten Musiker sind von ihren einstigen Plattenfirmen infolge mangelnden kommerziellen Erfolges fallengelassen worden. New Rose verhalf nicht wenigen so zu einer zweiten oder gar dritten Karriere. Den Saints, Alex Chilton, Chris Spedding oder Elliot Murphy, dem eigenwilligen Songwriter, der jahrelang in den USA als der typische loser galt und nun, durch seine Zusammenarbeit mit den Parisern, so scheint es, zur verdienten Anerkennung kommt.

Interessant in diesem Zusammenhang: New Rose bemühte sich um diese Musiker und Bands bereits Anfang der achtziger Jahre, als in Europa eigentlich die Spätfolgen des Punk, des Post-Punk und verschiedener Variationen des Pop angesagt waren und kein Bedarf an Rock'n'Roll-Helden bestand. Erst viel später, mit dem quasi gesamteuropäischen (fast weltweiten) Sixties-Revival rückten Chilton, Sky Saxon, der drogenzerfressene Seeds-Sänger und die anderen „Gründerväter“ in den Vordergrund.

„Es geht darum, die Tradition des Rock'n'Roll zu bewahren“, meint New-Rose-Mitinhaber Mathe, „ich denke, das, was damals passiert ist, werden wir nie wieder sehen. Musikalisch und in der Arbeitsweise von Musikern und Labels. Deshalb versuchen wir auch so nah wie möglich an der Arbeitsweise der sechziger Jahre zu bleiben: Den Musikern die Freiheit zu geben, zu machen, was sie wollen, und ein gewisses Maß an Spontaneität zu bewahren.“

Im Gegensatz zu den Aufbruchzeiten des Rock'n'Roll sei die Musikindustrie heutzutage „extrem langweilig“. Es gäbe auch heute noch gute Musiker, doch sobald sie in Kontakt mit der großen Industrie kämen, mit den „großen Vermarktungskampagnen und all dem Scheiß“, klängen ihre Songs nicht mehr so gut, sie gäben ihre Kreativität auf.

„Die großen Firmen pressen die Zitrone so heftig und so schnell aus, daß nichts Interessantes mehr passieren kann.“ Dabei brauche eine Band Zeit, um sich zu entwickeln, die Hits kämen oder kämen nicht, das meiste passiere von selber. Doch die großen Firmen wollen die Hits erzwingen, behandeln ihre Acts wie Produkte und nicht wie Künstler. „Uns liegt daran, für die Musiker eine gute Umgebung zu schaffen, wo sie kreativ tätig werden können. In gewisser Weise ist das Grundlagenarbeit und etwas völlig anderes, als neue Vermarktungstechniken auf Rockbands anzuwenden, wie wenn ich eine neue Suppensorte verkaufen will.“

Auch New Rose hat mit dem Los vieler Independentfirmen zu kämpfen, daß ihre Acts, einmal bekannt geworden, den Verlockungen großer Plattenfirmen erliegen und überwechseln. Die Cramps, denen die Pariser mit der LP A date with Elvis (1986) aus der Patsche geholfen haben (bislang mit 75.000 verkauften Einheiten der Topseller von New Rose), sind so ein Fall, oder auch die Saints.

„Für mich ist das kein so großes Problem. Ich bin mit Chris immer noch gut befreundet, und er nimmt für unsere Compilations auch immer noch Songs auf. - Ich halte nichts von Langzeitverträgen. Wenn Bands gehen, muß ich eben was Neues suchen. Gute Musik gibt es genug.“ Außerdem passiere ihnen das nicht so oft. Dazu sind die meisten Musiker bzw. ihre Musik dann doch zu eigen. „Willie Alexander will uns niemand wegnehmen“, fügt Patrik lachend hinzu.

Ist es ein Zufall, daß ausgerechnet in Frankreich, in Paris, ein Label wie New Rose entstehen kann? - Die Pariser sind wegen ihrer Vorlieben für exzentrische Rock'n'Roller bekannt. Sucht jemand vergriffene Platten und dutzendweise Bootlegs von Iggy Pop oder Johnny Thunders, dann ist weder London noch Berlin die beste Adresse, sondern Paris. Skurrile, schillernde Figuren der Rockszene werden in der Metropole fast kultisch verehrt: Der kauzige Jonathan Richman findet mit seinen Popkleinoden in Paris ein großes Publikum, dem er durch Ansagen in gebrochenem Französisch sowie durch etliche französisch gesungene Songs Tribut zollt. Konzerte des nicht minder seltsamen Briten Paul Roland (zeitweise auch auf New Rose) werden von den entsprechenden Radiostationen (Tip: Radio „Qui FM“) durch permanenten Dauerwerbebeschuß vorangekündigt, so daß man denkt, es käme nicht ein relativ unbekannter Engländer, sondern Mick Jagger höchstpersönlich in die Stadt.

„Dieses Image haben die Franzosen“, meint Patrik, „aber da ist nicht so viel dran.“ Er mag das französische Publikum nicht so sehr, die Pariser seien ihm ein bißchen „zu prätentiös“. „Sie sind davon überzeugt, den guten Geschmack zu haben, alles über Rock'n'Roll zu wissen, und dann zu entscheiden, was richtig und was falsch ist. Der Umgang mit Musik ist mir zu intellektuell. Sie sind weniger Fans. Da ist mir das deutsche, spanische oder italienische Publikum lieber. Die sind spontaner. Wenn die etwas mögen, dann mögen sie es eben und denken nicht drei Tage lang: Ist das nun okay, daß ich das mag oder nicht...“

Dennoch sei, so der Labelmanager, Paris der ideale Standort für New Rose. „Die meisten Amerikaner sind eben doch von Paris fasziniert, und das erleichtert die Arbeit.“ Außerdem begünstige die geographische Lage die Exporttätigkeit der Firma.

Inzwischen ist aus dem Zwei-Mann-Unternehmen ein kleiner mittelständischer Betrieb mit 27 Angestellten geworden. Während Frankreich für die französischen Acts nach wie vor der Hauptmarkt ist, setzt New Rose insgesamt mehr als fünfzig Prozent seiner Platten im Ausland ab. Seit Jahren verfügen Mathe und Thevenon über ein gut ausgebautes Netz von Partnern in anderen europäischen Ländern. In der BRD etwa ist New Rose mit der Hannoveraner Firma SPV liiert. „Heutzutage kann es sich kein Independentlabel, egal ob in Frankreich, England oder Deutschland leisten, sich nur auf einen nationalen Markt zu konzentrieren. Du mußt Europa als Ganzes nehmen.“

New Rose importiert praktisch amerikanische Musik nach Europa. Wie sieht es umgekehrt aus, haben sie noch nie daran gedacht, ein Sub-Label in den USA zu gründen? „Nein, auf gar keinen Fall“, wehrt der Labelmanager entschieden ab. „Der Markt dort ist sehr unübersichtlich, und du mußt wissen, mit wem zu zusammenarbeiten kannst und mit wem nicht. Wenn du bankrott gehen willst, dann eröffne ein Büro in den USA.“ Am amerikanischen Markt hat sich schon manche europäische Plattenfirma die Zähne ausgebissen. Selbst das renommierte britische Stiff-Label hat dort ebenso Schiffbruch erlitten wie der deutsche New-Rose-Partner SPV. Auf der anderen Seite, so Patrik schmunzelnd, lizensiere New Rose seine amerikanischen Acts, wie etwa Alex Chilton oder Tav Falco, in die Staaten. „Mir macht es immer noch Spaß, amerikanischen Firmen amerikanische Platten zu verkaufen“, fügt der geschäftssinnige Musikfan hinzu.

Auswahl neuer New-Rose-Platten:

Alex Chilton: Black List (Rose 194)

The Leroi Brothers: Viva Leroi (196)

Date Bait: I Spit On Your Grave (198)

Chris Burroughs: West of Texas (203)

Chris Bailey: What We Did On Our Holidays (30) - Rerelease

The Saints: The New Rose Years (FanClub)

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