: Ohne Becker zur Selbstwertfindung
■ Nach den Erfolgen von Steeb und dem Doppel Jelen/Stich führt die BRD im Davis-Cup gegen Argentinien am zweiten Tag 2:1 / Neuling Wöhrmann verpaßt seine Chance
So fern und doch so nah, der große Blonde mit dem mächtigen Bums. Da spielen sie Tennis weit ab vom Schuß, drunten in Buenos Aires, und reden schon wieder von einem, der gar nicht dabei ist. Weil er keinen Bock hatte auf den Extrastreß, der ihn nur hindern könnte auf dem Weg zu seinem großen Ziel, das zu erreichen ihm zur großen Fiktion geworden ist. Aber noch immer zieht Ivan Lendl einsam seine Kreise.
Jedenfalls wird das Davis-Cup-Match in Buenos Aires zum Befreiungskampf. Wir sind auch wer ohne IHN! Weil sie sich ja immer so klein vorkommen neben dem Mann von 1,94 m, in dessen mächtigem Schatten keiner größer werden kann als ein Knöterich. Aber jetzt haben sie ihr Coming-out, die Steeb, Jelen, Stich und Wöhrmann. Sagt Milchschnitten-Charly: „Anders ist ohne Boris, daß wir - jeder für sich - erkannt haben, welchen Wert wir haben.“
Der Nachrücker auf den Platz Nummer 1 im Team hat den seinen genau bestimmt. Vordem waren ihm auch zwei Niederlagen gestattet - Becker und das Doppel würden's schon richten. Und jetzt auf einmal ist ihm bewußt, „daß ich nun ein Träger für die Mannschaft geworden bin“. Nicht ganz ungefährlich ist das, so ein Weg zur Selbstfindung, der bei einem anderen vor der Hafenstraße endete und im Blick ins gute Buch. Nun auch Carl-Uwe Steeb ein Gefährdeter?
Wohl kaum, und er muß ja nicht hinhören, wenn Tennis -Präsident Stauder sagt: „Natürlich sind wir mit Boris noch ein stärkeres Team.“ Hat doch allen Grund, der Steeb, zufrieden zu sein. Hat den Martin Jaite bezwungen, den drei Plätze höher Eingestuften in der Weltrangliste, mit 6:3, 6:7, 6:4, 6:3, und sich dabei nicht vom rasenden Publikum irre machen lassen. Und nachdem Michael Stich sich vom Mischsalat (s.taz v. Samstag) erholt zeigte an der Seite von Eric Jelen, stand's nach zwei Tagen 2:1 für die Bundesdeutschen.
107 Minuten bloß brauchten die beiden, um Javier Frana und Gustavo Luza 6:2, 7:6, 6:2 in die Schranken zu weisen. Da war das Volk zwar noch ein ganzes Stück tobiger als bei den Einzeln, aber nachdem der Tiebreak verloren gegangen war, kehrte Ruhe ein.
Ein anderer verpaßte die gute Chance: Jens Wöhrmann mußte im Eröffnungsspiel gegen Alberto Mancini ran, und der einstige Weltranglisten-Achte zeigte sich erwartet formlos. Immer wieder haute er die simpelsten Bälle ins Netz, blöd nur, daß Wöhrmann es ihm nachtat. So entspann sich ein grausliges Tennis, und weil die Fehler schon gleichmäßig verteilt wurden, dauerte der Krampf 4:31 Minuten lang. Wohl konnte Wöhrmann zwei Matchbälle abwehren, verloren hat er dann doch - 5:7, 6:4, 6:7, 6:7.
Derweil geht es Teamchef Niki Pilic wie jedem ordentlichen Westernheld: „Es ist nicht so einfach für mich, sieben Stunden so dazusitzen mit dem Publikum im Rücken.“ Hat möglicherweise noch die Story von Ivan Lendl im Kopf, der sich bei einem Auftritt in Paraguay immer gewundert hat, was da dauernd so klickt auf den Rängen, um dann entsetzt festzustellen, daß es Klappmesser waren. Aber es ist nichts passiert dergleichen, Gefahr droht noch immer vom Mischsalat.
-thöm
Daviscup-Viertelfinale:
Australien - Neuseeland 3:2
John Fitzegerald - Brett Steven 6:1, 6:0, 3:6, 4:6, 2:6; Wally Masur - Kelly Evernden 6:3, 7:6, 6:1; Mark Kratzmann/Darren Cahill - Kelly Evernden/David Lewis 7:5, 6:3, 7:6; Wally Masur - Brett Steven 7:5, 6:2, 6:4; John Fitzegerald - Kelly Evernden 5:7, 7:6, 1:6
Österreich - Italien 3:0
Horst Skoff - Diego Nargiso 6:0, 6:0, 6:2; Thomas Muster Paolo Cane 7:5, 7:5, 1:6, 4:6, 6:3; Thomas Muster/Alexander Antonitsch - Paolo Cane/Diego Nargiso 7:6, 1:6, 6:2, 6:3
CSR - USA 1:2
Milan Srejber - Aaron Krickstein 6:4, 6:7, 6:7, 7:6, 3:6; Petr Korda - Brad Gilbert 6:2, 6:3, 6:3; Petr Korda/Milan Srejber - Rick Leach/Jim Pugh 4:6, 4:6, 4:6
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